Die eindringliche Stimme einer Gesellschaft

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lena.br Avatar

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"Nachbarn" von Diane Oliver ist eine Kurzgeschichtensammlung aus den 50er und 60er Jahren in denen sie sich mit den politischen Geschehnissen dieser Zeit auseinandersetzt. Sie wirft einen Blick auf die sozialen Umstände von Schwarzen und beleuchtet deren Leben zu dieser Zeit aus verschiedenen Blickwinkeln: Rassismus in all seinen Facetten, Armut, Hoffnung, Identitätssuche, Frustration, aber auch Stolz über die eigene Herkunft.

Oliver ist weit davon entfernt zu pauschalisieren, alles über einen Kamm zu scheren. Im Gegenteil. Es gelingt ihr, die Gesellschaft in einer Breite einzufangen, die mich erstaunt und beeindruckt hat. So lernen wir in ihren Kurzgeschichten alleinerziehende Mütter kennen, aber auch Dienstmädchen, schwarze Schülerinnen und Studentinnen, Arztgattinnen, Frauen und Menschen in allen Lebenslagen und Situationen.

Jede Kurzgeschichte hat ihren eigenen Ton, genauso wie jede ihrer Figuren ein eigenes Leben hat. Die Facetten sind vielfältig, aber sie berühren allesamt. Und sie sind so wahr und eindringlich erzählt, dass mich beim Lesen nicht nur einmal eine Gänsehaut gepackt hat.

Was muss passiert sein, damit eine Familie so viel Hass auf die Weissen entwickelt, dass sie lieber abgeschottet im Wald lebt, als einem von ihnen auch nur noch einmal zu begegnen? Warum kann sich Meg nicht in einen Schwarzen verlieben, ohne damit ihr gesamtes soziales Umfeld zu verlieren? Wie können zwei liebende Eltern die Entscheidung treffen müssen, ob sie ihrem Sohn nun die Bildung ermöglichen, die sie ihm wünschen, oder lieber Gewalt und Rassismus ersparen wollen?

Diane Oliver gibt vielleicht nicht die Antworten auf all diese Fragen. Aber sie stellt sie, mit einer eindringlichen Stimme und einer unvergesslichen Sprache und tut damit noch so viel mehr. Der Leserin und dem Leser dieses Werks öffnet sich eine Welt der Fragen, des Nachdenkens und des Hinterfragens. Eine grosse Leseempfehlung.