Gewaltige Sammlung

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oberaffengeil Avatar

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"Es gibt Momente [...] da kann man nicht länger so tun, als gäbe es bestimmte Umstände nicht"

Das in diesem Sammelband veröffentlichte Werk an Kurzgeschichten der US-amerikanischen Schwarzen Autorin Diane Oliver, die vor knapp 60 Jahren tragisch verstarb, lässt eintauchen in die Welt der Schwarzen Amerikaner der Südstaaten in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung.

In den Geschichten erleben wir eine Zeit des Umbruchs. Schwarze haben erste Rechte erlangt, die Rassentrennung in einigen Geschichten formell aufgehoben, trotzdem ist der Rassismus noch tief in den Köpfen der Gesellschaft verankert. Wir erleben in der titelgebenden Geschichte "Nachbarn" eine Familie, die ihr Kind auf eine ehemals weißen Kindern vorbehaltene Schule schickt und die seit der Entscheidung belästigt und angegriffen wird. Wir folgen Bürgerrechtsaktivist*innen, die nach einer Aktion des zivilen Ungehorsams verhaftet werden und Polizeigewalt erfahren. In anderen Geschichten geht es um Haushaltshilfen in weißen wohlhabenden Familien, isolierten Familien, Frauen, die von ihren nach einer besseren Zukunft suchenenden Männern im Stich gelassen werden. Schwarze Frauen, die der doppelten Diskriminierung und Bedrohung von Rassismus und Sexismus ausgesetzt sind, stehen hier immer im Fokus.

Was wir hier in Deutschland am Rande im Geschichts- oder Englischunterrichts über die amerikanische Bürgerrechtsbewegung als Massenbewegung oder ihre Schlüsselfiguren wie MLK oder Rosa Parks lernen, lässt uns Diane Oliver in erster Hand aus der Sicht von nicht-prominenten Einzelschicksalen miterleben.
Dabei sind alle Geschichten geprägt von ihrer Scharfzüngigkeit und Beobachtungsgabe, mal poetisch, mal distanziert, aber immer empathisch. Sie schreckt nicht davor zurück, harte Realitäten mit harten Worten zu benennen. Es stimmt traurig, daran zu denken, wozu die Autorin, die Anfang 20 schon solche Texte geschrieben hat, noch fähig gewesen wäre, wäre ihr ein längeres Leben geschenkt worden. Ich bin sehr dankbar, dass sich die Mühe gemacht wurde, ihr Werk neu zu verlegen und übersetzen.