Mein Leben mit Simon

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liesmal Avatar

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Matthew erzählt nicht einfach seine Geschichte, sondern er erzählt sie dem Leser direkt, er bezieht ihn ein durch Bemerkungen wie zum Beispiel „Sie kennen ja meine Mutter“. Dadurch entsteht eine besondere Vertrautheit zu Matthew und zu allem, was ihn und seine Familie bewegt.
Matthew ist schizophren.
"Simon lächelte ständig und hatte ein großes, rundes Gesicht, das mich an den Mond erinnerte." So beschreibt Matthew seinen Bruder, der drei Jahre älter war als er. Doch eher ist Matthew der "große Bruder", als "Schattenkind" eines Geschwisterkindes, das an einer lebensbedrohlichen Krankheit litt.
Matthew erinnert sich an die Zeit kurz vor Simons Tod. Er erzählt von Annabelle, dem Mädchen, das er dabei beobachtet, wie es seine Puppe beerdigt. Dann erinnert sich Matthew daran, wie er sich auf dem Weg zum Strand sein Knie aufgeschlagen hatte, wie sein Bruder Simon, der ihm gefolgt war, ihn auf den Arm genommen, ihn getröstet und nach Hause getragen hat, obwohl er wegen seiner Muskelschwäche eigentlich gar nicht die Kraft besaß. Nur kurze Zeit danach war Simon tot.
Für Matthew lebt Simon immer noch – überall hört er seine Stimme: Durch raschelndes Laub, durch Zucker, der vom Löffel rieselt, hört er, wie Simon mit ihm spricht. Und auch die Puppe von Annabell taucht immer wieder in Matthews Leben auf.
Mit 17 lebt Matthew in einer eigenen Wohnung, bekommt von seiner Großmutter Nanny Noo eine Schreibmaschine, schreibt Teile seiner Geschichte darauf.
In einer Tagesklinik bekommt er regelmäßig Injektionen, holt sie eines Tages nicht mehr ab und lebt dann in einer psychiatrischen Klinik.

Mein Eindruck: Ich bin überwältigt von Matthews Geschichte, habe das Lesen unterbrochen, um mir etwas theoretisches Wissen zu dem Begriff „Schizophrenie“ anzulesen und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass es Nathan Filer absolut gelungen ist, mit Matthews Erzählung auf ganz besondere und einfühlsame Weise zu schildern, wie ein Mensch mit dieser Krankheit lebt, was er denkt und fühlt, was ihm Angst macht, was ihn glücklich macht und wie er mit seiner Trauer umgeht.
Auch seine Familie hat Matthew gut vorgestellt. Hier hat mir besonders gut dieser Satz gefallen: „Klar, man kann seine Eltern für sein verkorkstes Leben verantwortlich machen, aber die Vorwürfe haben ein Verfallsdatum.“

Sehr eindrucksvoll und auf besondere Weise hilfreich waren viele Zitate in diesem Buch, einige möchte ich gern noch anführen:
„Wir sind Egoisten, meine Krankheit und ich. Wir denken nur an uns. Wir biegen uns die Wirklichkeit zurecht, um Botschaften zu empfangen, geflüsterte Geheimnisse, die nur für uns bestimmt sind.“
„Manchmal schnappt sich das Adrenalin die Wörter und schleudert sie hinaus, lauter und schneller als man will, und dabei geraten sie auch noch durcheinander.“
„Manche Erinnerungen weigern sich, an Ort und Stelle zu bleiben.“
„Dieser Körper gehört mir nicht, er verläuft, so dass ich nicht fühlen kann, wo ich aufhöre und der Rest der Welt anfängt.“

Die Informationen im Teil „Fragen und Antworten mit Nathan Filer“ am Ende des Buches waren sehr interessant und haben das Ganze für mich komplett gemacht. Danke!

Noch ein Satz zu dem Cover, auf dem die kleine (große) Ameise auf den Mond blickt, der durch eine Leiter mit der Erde verbunden ist: Matthew liebt seinen Bruder so sehr, dass er ihm die Ameisenfarm schenken möchte, die sich Simon so sehr gewünscht hat. Und ich glaube, dass es ihm gelingt!