Ungewöhnlich, verwirrend und wundervoll

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kleinerdrache Avatar

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_„Ich werde Ihnen erzählen, was passiert ist, denn bei der Gelegenheit kann ich Ihnen meinen Bruder vorstellen. Er heißt Simon. Ich glaube, Sie werden ihn mögen. Wirklich. Doch in ein paar Seiten wird er tot sein. Danach war er nie mehr derselbe.“ (Nachruf auf den Mond, S.11)_ Der Ich-Erzähler, Matthew Homes, ist Patient der Psychiatrischen Klinik in Bristol und schreibt aus Langweile seine Geschichte auf. Seine Geschichte, und sie seines älteren Bruders Simon. Es geht um die Entwicklung seiner Schizophrenie und darum wie Matthew den Verlust seines Bruder und seiner Realität empfindet. Außer seiner eigenen Geschichte erlebt der Leser aber auch welche Auswirkungen der Tod Simons und Matthews Erkrankung auf die Eltern und Großeltern der beiden hat. Matthew erzählt seine Geschichte in Echtzeit. Für den Leser bedeutet es, dass er mitdenken muss. Es sind zwei Handlungsstränge die parallel laufen, aber sich auch immer wieder miteinander mischen. Einerseits erzählt Matthew seine Geschichte, beginnend bei dem Camping Ausflug bei dem vor 10 Jahren Simon verunglückt ist. Anderseits erlebt der Leser auch was mit Matthew und um ihn herumgeschieht während er am Schreiben ist. Es sind meist nur Bruchstücke, nicht chronologisch, oft ohne offensichtlichen Zusammenhang, außerdem wird oft mehr als eine Version geschildert. Der Leser muss selbst entscheiden was er für wahr hält. Trotz all dem ist das Buch aber gut und flüssig zu lesen. Nathan Filer ist der Balanceakt zwischen dem realistischen Darstellen von Matthews zunehmender eigener Verwirrtheit und genügend Struktur für den Leser dem Zeit-und Gedankensprüngen zu folgen perfekt gelungen. Trotz der ernsten Themen des Buches, Verlust, Trauer und Schuld, kreiert Matthew eine fast positive Stimmung. Es ist eine sehr tiefgründige Erzählweise die dem Leser sehr plastisch darstellt wie die Welt für Matthew ist, aber durch eine recht einfache, fast kindlich gehaltene Sprache, erhält das Buch auch eine gewisse Leichtigkeit. Zusätzlich ist die Geschichte auch unheimlich fesselnd. Filer schafft es eindrucksvoll den Spannungsbogen bis ganz zum Schluss aufrecht zu erhalten, obwohl das Schlüsselereignis ganz zu Beginn eingeführt wird. Er lässt durchgehend kleine Informationsstücke einfließen, zum selbst zusammensuchen und deuten, wodurch der Leser immer weitergelockt wird. Neben der Handlung und Erzählweise haben mir auch die Charaktere sehr gut gefallen. Matthew hat eine starke Persönlichkeit, die automatisch, alles andere verdrängt und verdeckt. Trotzdem ist es aber gelungen auch seine Familie, die Eltern und Großeltern, sowie andere mit ihm interagierende Menschen, durch ihre Handlungen plastisch und real darzustellen. Es wirkt alles authentisch. Auch Matthews Krankheit, ihre Entstehung und der Verlauf sind gut recherchiert und glaubhaft eingebunden, sicher auch durch Filers Erfahrungen als Krankenpfleger in einer psychiatrischen Klinik. Nicht nur für Matthew, auch für den Leser, ist Simon immer gegenwärtig und so löst sich letztendlich auch das Rätsel um die Ameise und den Mond. Alles in allem ist es eine ungewöhnliche, tragische, verwirrende, nahegehende und wundervolle Geschichte die mich sehr berührt hat. Filer hat sein Ziel, den Wunsch im Leser zu erwecken die Geschichte weiterzugeben, sicher erfüllt.