Was ist Wahn und was Wirklichkeit?

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
annajo Avatar

Von

Matthew ist 19 Jahre alt und schreibt seine Geschichte auf, in der Psychiatrie. Sein Bruder Simon, dessen Gesicht beim Lächeln immer aussah wie der Mond, ist immer bei ihm. Allerdings ist Simon gestorben, als Matthew noch ein Kind war und er macht sich seitdem Vorwürfe. Stück für Stück rollt Matthew seine und die Geschichte seiner Familie auf.

Doch das geschieht nicht chronologisch, sondern genauso zerfahren, wie Matthews psychische Krankheit sein Denken werden lässt. Dabei präsentiert er alternative Wahrheiten, aus denen sich der Leser eine aussuchen muss. Seine Erinnerungen sind nicht mehr zuverlässig und seine Erzählung vermischt oft Wahnvorstellungen mit tatsächlichen Ereignissen, sodass es als Leser sehr gut nachvollziehbar wird, wie verwirrend die Welt für Matthew ist und wie er immer weiter in seine Krankheit abrutscht. Hinzu kommen tiefe Einsichten, die wahre Highlights sind. Auf die Geschichte muss man sich beim Lesen allerdings gut einlassen können, da sie sehr eigensinnig und man dem Erzähler ausgeliefert ist: "Ich bin neunzehn Jahre alt, und das Einzige, worüber ich in meinem Leben frei bestimmen kann, ist diese Geschichte und wie ich sie erzähle." (S. 95). Das mag nicht jedem gut gelingen, denn die Gedanken und Abläufe springen stark hin und her.
Trotzdem ist das Buch zu Recht hochgelobt, denn die Geschichte ist authentisch, die Charaktere sind glaubhaft und tiefgründig (jeder hat seine eigenen glaubwürdigen Motive) und der Autor scheint sich ausführlich mit dem Krankheitsbild befasst zu haben, denn sowohl Entstehung als auch Verlauf sind realistisch und folgen nicht irgendeinem belletristischen Wunschdenken. Hinzu kommt die optische Aufmachung, die dem Buch das Erscheinen des Tagebuchs von Matt verleiht, das es auch sein soll. Dadurch wird es beinahe einzigartig.

Wer sich also auf ein ungewöhnliches und sehr nahegehendes - aber auch verwirrendes - Buch einlassen kann, dem sei "Nachruf auf den Mond" wärmstens empfohlen.