Wenn die Flut kommt

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tigercat666 Avatar

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Nach anhaltenden Regenfällen und Sturm drohen die Deiche an der Ostseeküste zu brechen. In den kleinen Küstenorten bereiten sich die Bewohner auf eine Evakuierung vor. So auch Elisa, die seit dem tragischen Tod ihrer Schwester Lizzy und dem Scheitern ihrer Ehe allein im Elternhaus lebt - nur 500 Meter vom gefährdeten Deich entfernt.
Seit dem Verlust ihrer Schwester kämpft Elisa mit Panikattacken und ist auf Medikamente angewiesen. Der Gedanke, ihr Zuhause verlassen zu müssen, fällt ihr schwer. Als sie sich endlich durchringt, in Sicherheit zu gehen, macht sie eine überraschende Entdeckung: Im Nachbarhaus sieht sie ihre Nachbarn, die eigentlich schon am Vorabend geflüchtet sind.
Zeitgleich schmieden Häftlinge in der nahegelegenen Justizvollzugsanstalt Fluchtpläne. Sie wollen das Chaos der Evakuierung nutzen, um auszubrechen. Einer von ihnen hat dabei ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen: Er will zu Elisa.


Mein erstes Buch der Autorin Stina Westerkamp, aber es bleibt sicher nicht mein letztes. Aus wechselnden Perspektiven lässt sie die Protagonisten erzählen, was durchaus interessant ist. So erfahren wir von Max, der als freiwilliger Helfer beim THW arbeitet und alles daransetzt, Menschen zu retten. Seine einfühlsame Art macht ihn auf den ersten Blick sehr sympathisch. Oder Paul, der eine Haftstrafe in der JVA verbüßt und sich inmitten von Schwerkriminellen klein hält, nur nicht auffallen und den Unmut der Mithäftlinge auf sich ziehen, die für ihre Freiheit vor nichts zurückschrecken. Auch Vera, die Nachbarin, wird vorgestellt. Sie hätte gern mehr Kontakt zu Elisa, was ihr Mann ihr aber verbietet. Beide scheinen etwas zu verbergen.
Die Story liest sich sehr spannend, und diese Spannung steigt wie die Flut, die die Menschen bedroht, von Seite zu Seite. Das Setting einer drohenden Sturmflut an der Ostseeküste wirkt äußerst bedrohlich und intensiviert sich kontinuierlich. Westerkamp schafft es scheinbar mühelos, Sympathien oder Antipathien für die Protagonisten zu wecken und dabei ihre Leserinnen und Leser auf vielleicht falsche Fährten zu schicken.
Besonders fesselnd ist die Atmosphäre, die die Autorin kreiert. Die Orkanböen, die über die Straßen peitschen, und die Warnung vor der kommenden Sturmflut erzeugen eine klaustrophobische Stimmung. Die Geheimnisse, die jeder Charakter zu verbergen scheint, tragen zusätzlich zur Spannung bei. Elisa, die Hauptfigur, weckt Mitgefühl, während man gleichzeitig rätselt, was sie verbirgt. Westerkamps Hintergrund in Psychologie spiegelt sich in der tiefgründigen Charakterentwicklung wider. Die unvorhersehbaren Wendungen und die geschickte Verwebung der verschiedenen Erzählstränge hielten mich bis zur letzten Seite am Buch.
Insgesamt ist "Nachtflut" ein packender Psychothriller, der durch sein bedrohliches Setting, komplexe Charaktere und eine stetig steigende Spannung überzeugt. Die Autorin versteht es meisterhaft, die Leser in die Geschichte hineinzuziehen und sie bis zum überraschenden Ende zu fesseln.