Düster, poetisch und originell

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kgranger Avatar

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Nachtlügen ist ein eindrucksvolles, düster-fantastisches Drama, das mich sofort in seinen Bann gezogen hat. Lisanne Surborg hat mit Isra eine faszinierende Protagonistin geschaffen – verletzlich, widersprüchlich und voller innerer Kämpfe. Isra lebt tagsüber ein scheinbar gewöhnliches Leben als Kellnerin, doch nachts wird sie zu etwas völlig anderem: einem Nachtalb, der sich in die Träume anderer Menschen stiehlt, Lichtträume entzieht und daraus kunstvoll komponierte Albträume erschafft.

Die Idee der Traumdiebe ist großartig umgesetzt und hebt sich wohltuend vom typischen Fantasy-Genre ab. Besonders spannend fand ich die Regeln und Hierarchien der Nachtalbgesellschaft sowie die Konsequenzen, die Isra für ihre Grenzüberschreitungen zu tragen hat. Ihre zunehmenden Zweifel, Halluzinationen und das Spiel mit der Realität sorgen für eine beklemmende, psychologisch dichte Atmosphäre.

Der Stil ist bildhaft und manchmal fast traumwandlerisch – genau passend zur Thematik. Die Geschichte hat etwas Hypnotisches, wirkt aber gleichzeitig nie überladen. Sie fordert Aufmerksamkeit und spielt raffiniert mit Wahrnehmung, Moral und Identität.

Ein kleiner Kritikpunkt ist, dass man manchmal gern noch tiefer in die Welt der Nachtalbe eingetaucht wäre – einige Aspekte bleiben eher vage oder werden nur angedeutet. Trotzdem bleibt Nachtlügen ein besonderes Buch: poetisch, düster und mit einer starken, innerlich zerrissenen Hauptfigur.

Für alle, die das Fantastische lieber unheimlich als märchenhaft mögen – eine klare Empfehlung.