Haarscharf am Kitsch vorbei

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laleli Avatar

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Ach, ich weiß nicht....
Warum besitzen eigentlich in den Schmonzetten die Familien der jungen Frauen in Lebenskrisen IMMER Häuser in Cornwall, der Bretagne, auf irgendwelchen Kanalinseln oder wie hier an der Cote d'Azur?
In denen sie, befreit von den Lasten der Erwerbstätigkeit, für ein paar Wochen und Monate Zuflucht suchen können und dort zuverlässig die Liebe für's Leben finden?
Während der Rest von uns sich glücklich schätzen kann, wenn sie eine Freundin in Gütersloh hat, bei der sie sich mal ein Wochenende lang ausheulen kann, wenn's an allen Ecken brennt.?

Sei's drum: Hier haben wir also Lea, deren lesbische Beziehung gerade gescheitert ist und die obendrein ein Burn-out vor lauter Kuchenbacken für ihr kleines Café hat. Dessen vier Wände sie offenbar versehentlich komplett mit einer Dschungel-Tapete beklebt hat, was ja bekannterweise ein Alarmsignal für völlige nervliche Überlastung ist. Deswegen also: Nix wie ab in's Familienanwesen an der Cote!

Als Lea dort Rosé schlürfend im nächtlichen Garten sitzt, kommt es zu einer schicksalhaften Begegnung mit der jungen Alice. Die Damen plaudern kurz beim Rosé, dann verschwindet Alice in der Nacht, um alsbald tot in ihrer Badewanne aufgefunden zu werden. Ein tragischer Unfall? Selbstmord? Immerhin stellt sich posthum heraus dass die erst 16-Jährige schwanger war...

Unter diesen tragischen Umständen lernt Lea Emile kennen, den älteren Bruder der verstorbenen Alice. Zwischen ihren entwickelt sich - wer hätte es gedacht? - eine überaus romantische Liebesgeschichte.
(Einige Leser:innen mögen sich an dieser Stelle gewundert haben, hatte doch Lea zuvor eine PartnerIN und die plötzliche Umorientierung ist überhaupt nicht Thema. Ihnen sei versichert: Gibt es alles, ist heute halt so.)

Doch Emile ist nicht etwa nur auf Erotik aus. Die Tragödie seiner Schwester hat ihn dazu gebracht, Frauen im Innersten kennen lernen zu wollen. Und so kommt es zu intensiven, teils nächtlichen Gesprächen mit Lea, die öfter durchaus kontrovers verlaufen und Themen wie problematische Familienkonstellationen, ungewollte Schwangerschaft, Abtreibung und weibliche Selbstbestimmung behandeln.

Liebesbeziehungen zwischen Frauen werden noch in einem Seitenstrang der Handlung berührt.

Auch wenn es am Anfang des Buches nicht so aussieht: Anika Landsteiner schafft es, haarscharf am Kitsch vorbei zu schrammen. In den Gesprächen mit Emile werden durchaus ernste, leider immer noch aktuelle Frauen-Themen behandelt und etwas Lebens-Philosophie ist auch noch im Gesamtpaket von französischen Savoir-vivre vor mediterraner Kulisse mit romantischer Liebesgeschichte enthalten.

Übrigens wird im Buch - typisch französisch - auch viel und gut gegessen und getrunken, deswegen mein Fazit:
Für alle, statt die EMMA zu lesen, ernste Themen lieber mit etwas Käse, einem Stück Baguette und einem schönen Glas Wein serviert bekommen, ist Landsteiners Roman eine gute Wahl.