Komplexes Lesehighlight.

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literaturentochter Avatar

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»Ich [Émile] glaube am schlimmsten finde ich den Moment, wenn du lachst und dich dann plötzlich erinnerst, was passiert ist. Und dass es dir genauso schlecht geht wie kurz vor diesem Moment. Oder wenn du morgens aufwachst und für eine Sekunde nur diese Beklemmung in der Brust spürst und dich fragst, was los ist, aber dann fällt es dir plötzlich ein, und du fragst dich, wie du den Tag schaffen sollst, wenn er so anfängt« (S. 207).

Léa will eine Auszeit von ihrem Leben in Deutschland nehmen und flüchtet deshalb nach Südfrankreich in das alte Familienanwesen an die Côte d’Azur. Am ersten Abend schleicht sich eine junge Frau ebenfalls auf das Anwesen. Überrascht von Léas Anwesenheit lernen sich die Fremde und Lèa kennen. Am nächsten Tag klingelt es an der Tür des Anwesens. Es ist Émile, ein für Léa ebenfalls Unbekannter. Er berichtet über den Tod seiner Schwester Alice – der fremden Frau des gestrigen Abends. Léa war die letzte Person, die Alice lebend gesehen hat. Gemeinsam versuchen Léa und Èmile offene Fragen zum Tod seiner Schwester zu ergründen.

Die Autorin Anika Landsteiner geht in ihrem Roman nicht nur dem Thema der Trauerbewältigung nach, sondern wirft durch die Interaktion der Protagonisten auch Fragen zur Gleichberechtigung der Geschlechter, Gewichtung von romantischen Beziehungen und das gegenseitige Begehren innerhalb des eigenen Lebens auf. Dabei vertritt Protagonistin Léa eine feministische Einstellung. Ein weiterer Grund, wieso ich von diesem Buch absolut angetan bin. Neben Léa kommen noch weitere starke Frauenrollen im Buch vor, an dieser Stelle möchte ich jedoch nicht zu viel verraten.

Das Buch teilt sich in zwei Erzählperspektiven auf. Überwiegend kommt eine allwissende Erzählstimme, welche in der Gegenwart spielt, zu Wort. Diese wird jedoch immer wieder von einer Ich-Erzählerin unterbrochen, die die Vergangenheit aufgreift. Wer die Ich-Erzählerin ist, bleibt zu Beginn offen.

»Nachts erzähle ich dir alles« ist ein maximal gefühlvolles Buch, aber trennt sich trotz der Flut an Gefühlen vom Kitsch ab. Zwei weitere Dinge die mir positiv aufgefallen sind: Zu Beginn des Buchs gibt es eine Playlist (Okay, vielleicht doch ein bisschen kitschig!) und das letzte Kapitel (»Les femmes«) des Buchs widmet sich nur den Frauen innerhalb des Buchs. Wenn das kein Highlight ist, dann weiß ich auch nicht!


CN: Machtmissbrauch, Schwangerschaftsabbruch, Tod.