Überraschend politisch

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Nach der Trennung von ihrer Freundin flieht die 35-jährige Cafébesitzerin Léa an die Côte d‘Azur, um dort den Sommer im Familienanwesen zu verbringen. Aber schon in der ersten Nacht hat sie eine seltsame Begegnung mit einer jungen Frau, die kurz danach unter mysteriösen Umständen verstirbt, und eine Reihe an Ereignissen wird losgetreten, die Léa auch in diesem Sommer nicht zur Ruhe kommen lassen wird. Émile, der ältere Bruder des toten Mädchens, beginnt, Nachforschungen anzustellen, wie es zum Tod seiner Schwester kommen konnte, nachdem klar wird, dass diese schwanger war. Seine Ermittlungen führen ihn auch zu Léa, die ihn in seinem Vorhaben unterstützt, und bald verlieben sich die beiden ineinander.

Aber nicht nur heterosexuelle Beziehungen werden in „Nachts erzähle ich dir alles“ in den Fokus gerückt, Landsteiner erzählt von einer Vielzahl an Möglichkeiten der Liebe: von Léa, die sowohl Männer als auch Frauen liebt, von der heimlichen Liebe Claires, die beste Freundin von Léas Mutter, die ihr Leben lang in diese verliebt war, von Geschwisterliebe und schließlich von einer wirklich rührend engen Mutter-Tochter-Beziehung. Männer spielen dabei interessanterweise eine eher marginale Rolle, da diese zumindest in Léas Familienstruktur eher abwesend sind. Die Handlung des Romans verrät erst relativ spät, was sein eigentliches Kernthema ist: das Recht auf Abtreibung. Dieses wird dann jedoch argumentativ stichhaltig und sorgfältig behandelt, was mir wirklich gut gefallen hat.

Leider stoße ich mich etwas an der Romanze zwischen Léa und dem immerhin zehn Jahre jüngeren Émile, da diese einer höchst vulnerablen Situation entspringt und in mir ein etwas ungutes Gefühl auslöst. Auch die immer wieder eingeschobenen, an Tagebucheinträge erinnernden Passagen aus Claires Perspektive, in der sie Léa über ihre Zeit mit deren Mutter erzählt, hätte ich nicht unbedingt gebraucht, da diese in meinen Augen den Erzählfluss eher stören und sich nicht so ganz nahtlos in den Plot einfügen.

Alles in allem habe ich „Nachts erzähle ich dir alles“ sehr gerne gelesen und war positiv von der wichtigen politischen Message des Romans überrascht. Kein leichter Sommerroman, wie Cover und Titel vielleicht vermuten lassen würden, sondern ein wichtiges Plädoyer für das Recht von Frauen auf körperliche Selbstbestimmung.