„Für Oakland und seine Mädchen“

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„Ich hatte jetzt schon einmal Sex und kann es wieder tun, es ist ja nicht mehr als ein Körper, sage ich mir. Haut. Mehr muss ich daraus nicht machen. Bloß bis wir keine Mietschulden mehr haben.“

[#ContentNote: sexualisierte Gewalt und Prostitution]

Die siebzehnjährige Kiara lebt mit ihrem älteren Bruder Marcus in einem heruntergekommenen Apartmentkomplex in East Oakland, Kalifornien. Die Geschwister haben die Highschool abgebrochen und leben in Armut, ohne elterliche Fürsorge. Die beiden haben nur sich: Marcus lebt in den Tag hinein, möchte nicht wahrhaben, wie schlimm es um sie steht und verliert sich im Traum vom Rap-Superstar. Kiara hingegen, ist ganz auf sich allein gestellt und versucht verzweifelt Arbeit zu finden, um die Miete bezahlen zu können. Ihr einziger Lichtblick ist der zehnjährige Nachbarssohn Trevor, um den sie sich hingebungsvoll kümmert, sich eine schöne Kindheit und ein besseres Leben für ihn wünscht. Doch Wünsche kosten Geld und als Minderjährige findet sie keinen Job. Durch eine unglückliche Verkettung von Ereignissen, landet sie schließlich in der Prostitution, im Kreislauf von sexualisierter, körperlicher und psychischer Gewalt sowie Unterdrückung und Willkür durch die Exekutive. Doch das ausbeuterische System überholt sich selbst und plötzlich ist Kiara Kronzeugin in einem Skandalprozess…

„Für Oakland und seine Mädchen“ hat die Amerikanerin Leila Mottley ihr fulminantes Debüt „Nachtschwärmerin“ geschrieben und damit einer marginalisierten Gruppe ein Stimmrohr gegeben: Die junge Autorin (Jahrgang 2002), die selbst aus Oakland stammt, wurde bereits in ihrer Teenagerzeit auf verschiedene Fälle von sexualisierter Gewalt und deren Vertuschungsversuchen aufmerksam. Als sie dann, mit nur siebzehn Jahren, die Arbeit an diesem Roman beginnt, ist ihr schnell klar, dass sie die selten repräsentierten Geschichten von Schwarzen Frauen, queeren Menschen und trans Personen abbilden und sich der Gewalt gegen sie positionieren möchte. Entstanden ist dabei ein Buch, das so schmerzhaft zu lesen ist, dass die darin beschriebene brutale Ex­pli­ka­ti­on für Lesende erfahrbar wird. Jedoch schafft Mottley dabei den Drahtseilakt, zeigt nichts, was sie nicht zeigen muss. Ihre poetische Sprache schafft außerdem einen gekonnten Gegensatz zu den sexualisierten Gewaltakten und der dargestellten Armut. Hochempathisch und sensibel zeigt sich die Autorin durch Protagonistin Kiara, bildet ihre ungeschönte Realität ab und – das mochte ich mit am meisten – lässt ihr trotz allem Momente der Hoffnung und des Träumens.

„Nachtschwärmerin“ ist ein Debüt, so notwendig wie wichtig und so schonungslos wie bedeutungsvoll. Ein Buch, das ich gern allen empfehlen möchte, die es ertragen können. Aber Vorsicht – Disclaimer: die Realität (er)lebt sich privilegiert sehr viel leichter.

Übersetzt aus dem Amerikanischen von Yasemin Dinçer.