Glaubwürdig, schockierend, kämpferisch

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la calavera catrina Avatar

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„Ich weiß nicht, ich hatte im Grunde keine andere Wahl. Ich bin da irgendwie reingerutscht, und dann gab es keinen Weg mehr raus, versteht du?“

Eine bewegende Geschichte über ein junges Mädchen auf der Schwelle zum Erwachsenwerden, die zu viel Last auf ihren Schultern zu tragen hat und dann noch die Verantwortung für ein Kind übernimmt. In Ermangelung anderer Möglichkeiten, um die Miete und Essen zu bezahlen, ergibt sich die Chance, auf der Straße schnelles Geld zu verdienen. Und so gerät Kiara in ein Strudel aus Sex, Misshandlung und Erpressung von Männern, dessen Namen sie nicht kennt. Es sind nur Nummern oder markante Merkmale, die ihr in Erinnerung bleiben. Schonungslos, nüchtern und bildhaft erzählt Leila Mottley in ihrem Debüt Kiaras Geschichte. Der Fokus liegt ganz klar auf der Ich-Protagonistin und der Frage, wie es soweit kommen konnte, wie ihr Umfeld darauf reagiert und wie sie selbst damit umgeht - ob sie sich der Gefahr eigentlich bewusst ist. Die Ich-Perspektive bringt nur sparsam zum Ausdruck, was Kiara fühlt und denkt, denn hauptsächlich verdrängt sei vieles und erinnert sich an vergangene Tage mit der Familie. Kiara ist eine liebevolle Person, naiv, mal selbstbewusst, mal wortkarg, robust und doch verletzlich, als würden ihre vielen Facetten die Widersprüchlichkeit der Welt widerspiegeln. Ihre Familienverhältnisse und die wiederholenden Muster, aus fehlendem Rückhalt und schmerzhaften Enttäuschungen, spielen die Hauptrolle, neben den schrecklichen Konsequenzen.

Der Schluss hat mir gefallen, auch wenn ich mir noch ein paar Seiten mehr gewünscht hätte. Man kann sagen, auf den letzten dreißig Seiten passiert noch so einiges. Ein Abschluss, der die Ungerechtigkeit und das Versagen offenlegt und zeigt, wie wichtig Menschen im Leben sind, die uns unter- und beschützen. Dazu passen auch die abschließenden Anmerkungen der Autorin. Insgesamt hat es mir an Spannung gefehlt, da dem Prozess und der Prostitution nicht so viele Seiten gewidmet wurden, wie ich nach dem Klappentext angenommen hatte. Dafür hat mich Kiaras Schicksal berührt, das gesellschaftskritisch schmerzhafte Missstände aufzeigt. „Aber ganz gleich, wie viel Glück man hat, man muss immer noch tagein, tagaus schuften, um am Leben zu bleiben, während man mit ansieht, wie jemand anderes aus dem sozialen Netz fällt und die Asche in der Bucht verstreut wird.“ Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass mir das handliche Buchformat als Hardcover sehr gefallen hat.

Fazit: Ein lesenswertes Romandebüt über das Porträt einer Minderjährigen, die, auf sich allein gestellt, unerfahren und ausgebeutet, in einen Missbrauchsskandal der Polizei verwickelt wird und um Zusammenhalt in der Familie kämpft. 3,5 Sterne für diese schwere Kost.