Skurriles Leseerlebnis

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papilionna Avatar

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Jannik ist ein ziemlich normaler Siebzehnjähriger – abgesehen davon, dass er ein wenig übergewichtig ist, sich extrem gut mit klassischer Musik auskennt und darüber hinaus auch noch in seinen besten Freund Tai verliebt ist.
Als dieser eines Abends ihren verhassten Schuldirektor betrunken auf der Straße aufliest und in dessen Wohnung einsperrt, sieht sich Jannik der Frage gegenüber, ob seine Gefühle für Tai alles rechtfertigen.
Neben der Hauptstory geht es rückblickend noch um die Geschichte der Schülerin Melanie Heise, die sich aufgrund unerwiderter Liebe zu ihrem Deutschlehrer das Leben genommen hat. Dieser Fall wird während der Gefangenschaft des Direktors noch einmal aufgerollt, da vor allem die Eltern der Schülerin ihm taktloses und mangelhaftes Verhalten vorwerfen.

Im Prinzip gibt es zwei Protagonisten: Jannik und den Direktor Jens Lamprecht. In diesem Fall mochte ich den Wechsel der Perspektiven, da klar war, in wessen Sicht man sich gerade befindet. Janniks Kapitel sind in der Ich-Perspektive verfasst, während die des Lehrers in einer personalen Erzählsituation, also in der dritten Person, geschildert werden.
In erster Linie ist Nackt über Berlin ein Roman, der wunderbar darstellt, wie verwirrend und erbarmungslos die erste Liebe sein kann. Dabei wirkt er absolut authentisch, man merkt, dass der Autor autobiografische Elemente eingebaut hat.
Insgesamt hat mir das Buch wirklich gut gefallen. Anfangs zog es sich zwar ein bisschen, aber dann nahm die Geschichte Fahrt auf und etwa ab der Hälfte konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Je weiter der Roman fortschreitet, desto angespannter fühlt man sich als Leser ob der heiklen Situation Jens Lamprechts, der in seinem Apartment von den zwei Jugendlichen regelrecht gefangen gehalten wird und keinen Kontakt zur Außenwelt hat. Man fragt sich, wie das Ganze am Ende noch halbwegs glimpflich ausgehen soll. Trotzdem ist das Buch, vor allem in der zweiten Hälfte wirklich witzig – und es passiert sehr selten, dass ich beim Lesen laut loslache.
Generell ist die Geschichte sehr emotional, auf den letzten paar Seiten musste ich sogar ein wenig weinen…

Der Protagonist Jannik mach eine Entwicklung durch, er wird im Laufe des Buches erwachsener und entfaltet und akzeptiert sich. Obwohl ich fand, dass das sehr gut dargestellt wurde, waren mir seine „innere Stimme“, oder besser gesagt, die Gedanken, die er hat teilweise ein bisschen zu lebenserfahren. Natürlich durchlebt er die normalen Wirrungen des Erwachsenwerdens, aber manchmal sagte er Dinge, die für meinen Geschmack ein wenig zu abgeklärt klangen.

Ich weiß nicht, ob ich den Roman der Sparte „Jugendbuch“ zuordnen würde, dafür ist er meiner Meinung nach ein bisschen zu derb und besonders die Hintergrundgeschichten Jens Lamprechts sind wahrscheinlich eher für Erwachsene interessant.
Auf jeden Fall war es ein witziges, skurriles Leseerlebnis, das ich auf jeden Fall weiterempfehlen kann.