Spannende polnische Herausforderung

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Antje Bones ist mit „Nebenan ist doch weit weg“ ein beeindruckendes Jugendbuch gelungen. Auf ermutigende und altersgerechte Weise wird hier eine Verbindung zur deutsch-polnischen Geschichte geknüpft.

Abenteuerlustige, aufgeschlossene Eltern sind ja was Tolles. Nun reagiert die 13jährige Edith jedoch sehr unbegeistert. Ihre Eltern sind große Liebhaber der polnischen Stadt Krakau und sehen Chancen, sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Das bedeutet für Edith, dass sie gegen ihren Willen die geliebte Heimat in Berlin-Kreuzberg, ihren Freundeskreis und die Verwandten, das ganze gewohnte Umfeld für immer verlassen muss. Was für ein großer Einschnitt für ein Kind. Für ihren viel jüngeren Bruder Jakob ist das eher ein Aufbruch in ein großes Abenteuer.

Edith hat bereits begonnen, Polnisch zu lernen, denn sie wird in Krakau nach den Sommerferien gleich in der 7. Klasse starten. Neue Freundschaften in einer anderssprachigen Umgebung zu finden, ist nicht so leicht. Was für ein Glück, dass sie in Milena und Antek Freunde findet, die auch ein bisschen am Rande der Gruppe stehen. Trotz der Vorbereitungen merkt Edith, wie schwer die neue Sprache ist. Gelegentlich schämt sie sich, wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnis. Aber sie geht die Herausforderung mutig und engagiert an.

Die Erlebnisse, Erfahrungen und Gefühle werden aus der Perspektive des Auswanderermädchens Edith in der Ich-Form erzählt. Eine Bereicherung erfährt diese Form durch den Wechsel mit Ediths Tagebucheintragungen. Hier kann man nachempfinden, was für eine Gefühlsbandbreite von Zukunftsangst über Wut bis zur Verzweiflung das junge Mädchen durchlebt. Wie schön, dass Edith wahrnimmt, dass es auch schöne Erlebnisse gibt und auch Ausblicke auf eine bessere Zukunft deutlich werden. Edith reift an diesen Herausforderungen.

Für Edith und ihre frisch gewonnenen polnischen Freunde wird die neue Gemeinschaft auch zur Begegnung mit gegenseitigen typischen Ressentiments und der deutsch-polnischen Geschichte.

Als die Drei im alten Haus, das Ediths Familie gekauft hat, ein zugemauertes, geheimes Zimmer entdecken, startet eine gemeinsame Abenteuergeschichte. Denn die Spur, die die Kinder nun engagiert verfolgen, führt sie in schlimme vergangene Zeiten.
An dieser Stelle eröffnet sich den Kindern, wie Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft miteinander verflochten sind.

Es ist nicht nur die Gedankenwelt des Auswandererkindes, sondern auch die gemeinsame Reise der neuen deutsch-polnischen Freundesgruppe in die Vergangenheit, die einen als Leser*in berührt, erschüttert, doch auch innerlich aufbaut und ermutigt. Die Realität wird nicht schön gemalt, sondern glasklar dargestellt. Es ist Edith, die der Vergangenheit ganz naiv und unwissend entgegentritt. Mit viel Einfühlungsvermögen wird diese Haltung aufgegriffen.

Eine Vielzahl von Themen werden angesprochen bis hin zur Bedeutung der Religion in den beiden Ländern, die gemeinsame Geschichte, die Bedeutung der Sprache u.v.m.

Fazit
Antje Bones hat hier mehr als ein nettes Jugendbuch geschrieben. Ediths Geschichte in Polen berührt und geht unter die Haut. Durch die derzeitigen dramatischen politischen Geschehnisse in Osteuropa und im Nahen Osten gewinnt das Buch eine intensive Aktualität. Es öffnet einen freundlichen und liebevollen Blick zu unserem direkten Nachbarn im Osten, erinnert an die furchtbare Vergangenheit und zeigt die Bedeutung von Mut und Menschlichkeit auf. In dieser Form ist es perfekt für die Altersklasse ab 11 Jahren. Der Erzählduktus spricht diese Altersklasse bestimmt an, denn er ist sehr lebendig, gefühlsbetont und oft sehr lustig.

Michael Szyszka illustriert die Geschichte einfühlsam und zurückhaltend. Man ist ein bisschen an Collagen erinnert und lernt nebenbei noch ein paar polnische Vokabeln. Auch das Cover ist sehr einfach gehalten. Die Umzugswagen auf dem Weg von Berlin nach Krakau schenken gleich eine geografische Vorstellung von Lage und Entfernung.

Diesem tiefgründigen, spannenden Jugendbuch ist eine große Leserschaft zu wünschen.