Ein Debüt mit Wucht

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franziskalex Avatar

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Es ist ein paar Tage her, seit ich den Roman beendet habe und ich hab ihn mit dem Gefühl beendet, dass er mich sicher so schnell nicht loslassen würde. Und genau das ist eingetreten - bis heute konnte ich mich auf keine neue Story einlassen und komme gedanklich immer wieder zurück zu diesem Roman.

Die Erzählung gliedert sich in zwei Zeitstränge, die kapitelweise abwechselnd behandelt werden - das Jetzt im Präsens verfasst, sowie im Präteritum Rückblenden von ungefähr einem halben Jahr vorher. Zu Beginn ist dadurch so einiges in der Jetzt-Zeit unklar, das sich aber nach und nach mit Voranschreiten der Kapitel in den Rückblenden erklärt, der Aufbau gefällt mir sehr gut und er hat an vielen Stellen für große Spannung gesorgt.
Dennoch gab es einige Aspekte, bei denen mir Hintergrundinfo gefehlt hat. So zum Beispiel die Figureneinführungen. Einige Charaktere tauchen auf und scheinen der Hauptperson, Leila, von früher bekannt zu sein, dadurch entstehen für mich als Leserin zu große Lücken, die die Vertrautheit untereinander zum Teil als unglaubwürdig erscheinen lassen. Dadurch, dass es fast ausschließlich Partysituationen sind, in denen Charaktere aufeinandertreffen, war mir oft nicht klar, ob die Vertrautheit auf einer gemeinsamen Vergangenheit oder auf dem Alkoholkonsum (und folglich Enthemmung usw.) begründet ist.
Generell steckt für meinen Geschmack zu viel Party und Alkohol in der Handlung; zwar verstehe ich, dass es für Leilas Charakter eine Kompensationsstrategie und außerdem eine Überzeichnung des Milieus der Kulturschaffenden darstellen soll, jedoch hätte ich mir, auch zugunsten der Figurenentwicklung von Leila, mehr "nüchterne" Reflektionen des Innenlebens der Hauptperson gewünscht, mehr Aushalten und Ausharren, weil es eben manchmal sein muss.
Auch die oft sehr langen Dialoge verlieren an manchen Stellen durch den massiven Alkoholeinfluss an Raffinesse, finde ich. Die Gespräche, in denen es nicht ganz so sehr auf die Spitze getrieben wird, sind wirklich stark und ich bewundere das Handwerk der Autorin, auf witzige, freche, teils überhebliche, aber trotzdem tiefgründige Art die Abgründe der Glamourwelt aufzuzeigen, in der eigentlich alle auf die gleiche Weise verzweifelt auf der Suche nach ihrem Glück sind.
Auch sprachlich hat der Roman viele Stärken, der Ton ist nüchtern, hat aber eine angemessene Härte und Schonungslosigkeit, ohne kitschig oder gefühlsduselig zu werden. Genau richtig für meinen Geschmack.

Das letzte Drittel des Romans hat mich sehr gepackt und ich konnte ihn kaum aus der Hand legen; ratlos lässt mich allerdings noch das letzte Kapitel und somit die Auflösung zurück - unsicher, ob nicht plötzlich alles zu schnell und zu einfach aufgelöst wird und wo die Leila der vorherigen knapp 200 Seiten bleibt. Dennoch lässt der Roman mich nicht enttäuscht zurück, sondern vielmehr neugierig. Auf jeden Fall ein Debüt mit Wucht, das ich so schnell nicht vergessen und ganz sicher auch noch einmal lesen werde. Es würde zum Erzählton und zu Leilas Charakter passen, dass sich einige Rätsel und vor allem das Ende erst bei mehrfachem Lesen erschließt.