Identität und Schicksal

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julirudi Avatar

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Judith Hoerschs Roman „Niemands Töchter“ erzählt eine tief berührende Geschichte, die sich über mehrere Zeitebenen erstreckt, in Berlin und der Eifel spielt, und das Schicksal von vier Frauen miteinander verknüpft. Im Zentrum des Romans steht zum einen Alma, die durch eine frühzeitige Trennung von ihrer biologischen Mutter Marie aufwächst, sowie deren Mutterbeziehungen und die geheimen Wunden, die sie im Laufe der Jahre prägen.
Die Geschichte beginnt mit einem mutigen, aber schmerzhaften Schritt von Marie, die ihre Tochter Alma als 16-jährige Mutter heimlich bei der Kinderkrankenschwester Gabriele ablegt. Gabriele, die sich sehnlichst ein Kind wünscht, nimmt Alma auf und gibt ihr ein Zuhause, doch die Entscheidung, Alma als ihre eigene Tochter auszugeben, wird von innerer Zerrissenheit begleitet. Niemand darf erfahren, dass sie nicht die leibliche Mutter von Alma ist – ein Geheimnis, das ihre Mutterschaft beeinflusst. Aus diesem Grund muss sie Berlin verlassen und kehrt in die Eifel zurück, wo ihre Eltern Hedwig und Jupp eine Bäckerei betreiben.
Marie hingegen wird Jahre später erneut Mutter einer weiteren Tochter, Isabell, welche die zweite zentrale Rolle im Roman spielt und die von Marie mit einem Übermaß an Liebe und Fürsorge fast erstickt wird. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist von einem Bedürfnis nach Nähe geprägt, das in starkem Maße durch Maries ungelöste Trauer über den Verlust von Alma beeinflusst ist. Isabell wächst mit einer Mutter auf, die sie mehr als Freundin sieht und sie nur schwer loslassen kann. Isabell ist der Mittelpunkt ihres Lebens, bis sie einen Unfalltod erleidet, als Isabell erst zehn ist. Nach der stark innigen Beziehung zu ihrer Mutter, verliert Isabell nach dessen Tod den Boden unter den Füßen.

Beim Therapeuten Leonard Lilienthal kommt es schließlich zu einer schicksalshaften Begegnung der nun erwachsenen Töchter Alma und Isabell. Beide Frauen leiden unter Traumata, die ihre Leben erschwert und ihre Beziehungen zu anderen Menschen belastet.

Hoersch gelingt es, das Thema der Identität auf eine besondere Weise zu behandeln. Die vier Frauen – Alma, Marie, Gabriele und Isabell – sind durch ihre komplexen, oft schmerzhaften Familienbande miteinander verbunden, und jeder Charakter trägt das Erbe dieser Wunden.
Besonders eindrucksvoll ist, wie der Roman die Fragen nach Herkunft und Selbstfindung aufwirft, während sich die Figuren auf eine Suche nach Antworten begeben, die sie sowohl körperlich als auch emotional an ihre Vergangenheit bindet. Der Einfluss der Eltern auf die Entwicklung eines Menschen, sowohl im positiven als auch im schmerzhaften Sinne, wird hier auf subtile Weise offenbart.
Judith Hoersch hat mit „Niemands Töchter“ einen einfühlsamen, vielschichtigen Roman erschaffen, der sich nicht nur mit den komplexen Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern beschäftigt, sondern auch mit der Frage, wie uns unsere Herkunft und die Familiengeschichte prägen. Er setzt sich auch mit Wunden auseinander, die von den vorangegangenen Generationen hinterlassen worden sind und der Hoffnung auf Heilung der nachfolgenden Generationen.

Schließlich ist noch der QR-Code für eine Playlist, der im Roman erwähnter Songs, bei Spotify erwähnenswert. Diese begleitende Playlist macht die Geschichte noch lebendiger und intensiviert das Leseerlebnis dieses wunderbaren Romans.