Der Titel ist Programm
„Als seine Mutter starb, hatte er Dienst.“. Terry, 31, ein junger Assistenzarzt kurz vor dem Examen wird völlig unvorbereitet mit dem Tod seiner Mutter konfrontiert. Normalerweise ist er es, der die Angehörigen vom Tod eines Menschen unterrichtet. Doch nun ist er persönlich gefordert. Er muss sich in Boulder City, einer Kleinstadt mitten in der Wüste von Nevada, um die Beerdigung und den Nachlass seiner Mutter kümmern. Eine Aufgabe, die ihn überfordert. Hilfe bekommt er von Bethany, einer jungen, attraktiven Frau, die er in einem Café kennenlernt. Nach einer gemeinsamen Nacht bietet sie ihm an, sie könne sich, während er in L.A. seiner Arbeit nachgeht, um das Haus seiner Mutter und deren Hund Daisy kümmern. Ihr Angebot ist keineswegs uneigennützig, denn Bethany ist nach ihrem Auszug aus der Wohnung ihres Ex-Freundes Jesse ohne Bleibe.
Gegen Terrys Willen quartiert sich Bethany im Haus der verstorbenen Mutter ein und feiert dort sogar während seiner Abwesenheit wilde Partys mit ihren Freunden. Doch als Terry anreist, um sie rauszuschmeißen, landen sie wieder im Bett.
Richtig Probleme gibt es dann, als Jesse auftaucht und auf seinen alten Rechten beharrt. Er ist keineswegs gewillt, seinen Anspruch auf Bethany aufzugeben. „ Sie ist Gift. Das weißt du noch nicht, aber du wirst es bald rausfinden.“ warnt er Terry.
Aber die Warnung kommt zu spät. Terry ist Bethany verfallen und der Kampf zwischen den beiden ungleichen Männern beginnt. Ein Streit um eine Frau, der bald immer drastischere Formen annimmt.
T.C.Boyle beschreibt hier eine Dreiecksgeschichte, bei der es weniger um Liebe als vielmehr um Obsessionen, Abhängigkeiten und Besitzansprüche geht.
Für keine der drei Figuren kann der Lesende Sympathien entwickeln. Terry ist zwar ein Arzt, der sich fürsorglich um seine Patienten kümmert, doch ansonsten wirkt er höchst unreif und unreflektiert. Man fragt sich, warum er sich auf diese unheilvolle Liaison einlässt. Schließlich ist offensichtlich, dass er und Bethany nicht zusammenpassen. Trotzdem trifft er eine fatale Entscheidung nach der anderen. Als Leser kann man nur den Kopf schütteln.
Obwohl Terry und Jesse auf den ersten Blick völlig unterschiedliche Typen sind , so eint sie doch ihr Anspruch auf Bethany. Beide sehen in ihr das Objekt ihrer Begierden, weniger eine eigenständige Frau.
Jesse ist ein Macho wie aus dem Bilderbuch. Er akzeptiert keine Zurückweisung, nimmt sich, notfalls mit Gewalt, was ihm vermeintlich zusteht. Aber auch ihn zeichnet Boyle nicht eindimensional. Er ist nicht nur Trinker und Biker, sondern auch Lehrer und versucht sich in der Schriftstellerei. Inwiefern diese unterschiedlichen Rollen zusammenpassen und glaubwürdig sind, muss jeder Lesende selbst entscheiden.
Und Bethany ist eine Frau, die sich einerseits treiben lässt, gerne Party macht und sich mit Alkohol und Drogen zudröhnt, aber trotzdem Sicherheit sucht. Von Jesse kommt sie nicht los, mit ihm ist das Leben aufregender als mit dem Langweiler Terry. Der verspricht dafür finanzielle Sicherheit als zukünftiger Arzt und ein höheres gesellschaftliches Ansehen. Ihr größtes Pfund ist ihr Aussehen, das weiß sie und das setzt sie ganz gezielt auch ein.
Während man Bethany manipulatives Verhalten vorwerfen muss, so kann man Jesse und Terry toxische Männlichkeit attestieren, dem einen mehr, dem anderen weniger.
Von wirklicher Liebe zwischen den Figuren ist wenig zu spüren, auch wenn sie diese behaupten.
Der einzig wirkliche Sympathieträger ist Daisy, die Hündin. Auch wenn sie nach einem gewalttätigen Zusammenstoß mit Jesse nur noch ein Auge hat, so ist sie doch weniger blind als die anderen Figuren.
Boyle erzählt diese Dreiecksgeschichte chronologisch, aber aus wechselnden Perspektiven. Das hat seinen besonderen Reiz, denn so zeigen sich oftmals verschiedene Versionen der Geschichte und neue Facetten in den Charakteren.
Nicht nur Jesse und Terry sind Gegenspieler, auch der Kontrast zwischen Stadt und Land wird anschaulich herausgearbeitet. Ist Terry als Arzt in der Notaufnahme seiner Klinik mit den Gestrandeten, den Obdachlosen und Armen in der Multikulti-Stadt L.A. konfrontiert, so trifft er in Boulder City auf die Tristesse einer heruntergekommenen Kleinstadt, wo sich die Menschen mit billigem Fast Food, Alkohol, Drogen und Sex betäuben.
Der Titel des Romans ist Programm. Keiner hier hat ein Zuhause, jeder sucht es, im wörtlichen und übertragenen Sinn. Es ist kein Zufall, dass Boyle den einen Handlungsort in der Wüste ansiedelt, auch dies ein unwirtlicher Ort.
„No Way Home“ ist kein typischer Boyle. Behandelte er in seinen meisten Romanen doch politische und ökologische Themen, so kommen diese hier nur am Rande vor.
Da lässt er den Möchtegern-Schriftsteller Jesse an einem Roman schreiben, der vom Bau des Hoover-Damms und seinen Folgen für Mensch und Umwelt erzählt. Hier am Lake Mead zeigt sich der Klimawandel ganz massiv. Seit Jahren sinkt der Wasserspiegel und legt tote Tiere und menschliche Skelette bloß.
Möglicherweise lässt sich „No Way Home“ als Parabel lesen, wie Menschen sich von zerstörerischen Kräften manipulieren und instrumentalisieren lassen, obwohl offensichtlich ist, wie sehr diese ihnen schaden.
Auf jeden Fall zeichnet der Roman das Bild einer Gesellschaft, die nur auf sich bezogen ist und Beziehungen nach dem Nutzprinzip eingeht.
„No Way Home“ ist sicher nicht Boyles bestes Buch. Trotzdem habe ich mich gut unterhalten gefühlt. Es liest sich süffig, bleibt spannend und auch sprachlich konnte es mich überzeugen. Ihm gelingen großartige Bilder ( „ Und dann stürzte der Nachmittag krachend in den Abend.“), atmosphärische Beschreibungen von Landschaft und Milieu, und entlarvende Dialoge.
Das Ende mag manchen enttäuschen, für mich ist es stimmig.