Ein typischer Boyle

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simonef Avatar

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Terrence Tully ist Assistenzarzt in L.A. und Anfang dreißig. Als seine Mutter plötzlich stirbt, bricht er nach Boulder City in Nevada auf, um sich um die Beerdigung und ihr Haus zu kümmern. Kurz nach seiner Ankunft trifft er in einer Bar die junge Bethany, die ihm dem Kopf verdreht. Er verbringt eine Nacht mit ihr und reist zurück nach Los Angeles. Als Bethany sich kurzerhand im Haus der verstorbenen Mutter einnistet, ist Terrence ist hin- und hergerissen: Einerseits misstraut er ihr und verübelt ihr die unverfrorene Besetzung des Hauses, andererseits ist er ihr vor allem körperlich verfallen. Dann taucht auch noch Bethanys Ex-Freund Jesse auf, der die Beziehung noch längst nicht aufgegeben hat und Terrence und Bethany keine Ruhe lässt.

Die karge Wüstenlandschaft von Boulder City ist eine wunderbare Kulisse für das Setting, das mich an ein archaisches Duell zweier Männer um eine Frau erinnert und mit Klischees spielt: Der gebildete, zurückhaltende, körperlich unterlegene Arzt, gegen den athletischen, attraktiven, aber prolligen Biker Jesse, einen klassischen Macho-Typen. Dazwischen die attraktive Bethany, die sich nicht entscheiden kann, Terrence vor allem als sichere und finanziell interessante Partie ansieht, während sie sich von Jesse weiterhin angezogen fühlt.

Boyle schreibt gewohnt sprachgewaltig, lebendig und voller bissigem, schwarzem Humor. Wie immer enthält auch „No way home“ einiges an Gesellschaftskritik: Er thematisiert unter anderem Armut und Obdachlosigkeit, den allgegenwärtigen Drogenkonsum, der in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und das problematische Gesundheitssystem.

Wie meist bei Boyle fällt es mir schwer, Sympathie für die Protagonisten aufzubringen, was mich jedoch nicht stört, da ich schwierige Charaktere, an denen man sich beim Lesen reiben kann, besonders spannend finde. Am stärksten fühlte ich mit Terrence mit, auch wenn mich seine mangelnde Entschlossenheit und Durchsetzungskraft nervten. Die Geschichte lässt tief in die menschlichen Abgründe blicken: Rache, Lügen, Eifersucht, verletzter Stolz, übersteigerte Männlichkeit, triebgesteuertes Handeln. Sämtliche Figuren, stehen in dysfunktionalen Beziehungen zueinander, und ihre moralischen und charakterlichen Schwächen führen dazu, dass sich eine unheilvolle Eigendynamik entwickelt. Dementsprechend war ich sehr gespannt, wie sich alles weiterentwickeln würde. Der Schluss hat mich leider nicht überzeugt und kam für mich sehr abrupt, so dass ich hierfür einen Stern abziehe.

Abgesehen davon ein lesenswerter, sehr unterhaltsamer Roman in typischer Boyle-Manier, aber nicht sein bestes Werk.