Menschliche Abgründe

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Durch Zufall lernen Terry und Bethany sich in einem kleinen Kaff in Nevada kennen. Er ist angehender Arzt aus LA, der sich wegen des plötzlichen Todes seiner Mutter um ihr Haus kümmern muss, sie ist eine lebenslustige und ziemlich chaotische junge Frau. Es könnte eine Win-Win-Situation sein: Bethany hat ein Dach über dem Kopf, kümmert sich um das Haus und den Hund der Verstorbenen und sieht eine Chance, sich einen angehenden Arzt zu angeln. Terry hat die Affäre seines Lebens, zum ersten Mal beherrscht ihn nicht nur die zermürbende Arbeit und der arbeitsintensive Alltag. Doch dann taucht Bethany Exfreund Jesse auf und zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine erbitterte Rivalität, die schließlich immer weiter ausartet.
Es ist eine Dreiecksgeschichte voller menschlicher Abgründe, die T.C.Boyle hier in seinem unnachahmlichen Schreibstil beschreibt. Mit viel trockenem Humor, Ironie und Sarkasmus gewürzt erzählt er in wechselnder Perspektive aus der Sicht von Terry, Bethany und Jesse. Dadurch kommen einem die Figuren beim Lesen alle sehr nahe und schnell wird klar, dass die Situation irgendwann eskalieren wird.
Es ist eine sehr amerikanische Geschichte, die so für mich in keinem anderen Land Sinn machen würde. Neben den menschlichen Dramen ist das sehr eigene amerikanische Gesundheitssystem Thema sowie die Natur in Nevada und das Leben in ländlichen Kleinstädten und einer Stadt wie LA.
Die Figuren sind typisch amerikanisch gezeichnet, manchmal schon etwas klischeehaft: Terry als Assistenzarzt arbeitet unendliche Stunden in der Klinik für einen Hungerlohn, immer mit dem Hintergrund, dass er einen horrenden Studienkredit zurück zahlen muss. Als er Bethany kennen lernt verändert sie alles, was ihn bis dahin im Leben ausgemacht hat. Sie vermittelt ihm eine Leichtigkeit, die er so noch nie erlebt hat. Sein Kopf zieht ihn immer wieder auf seine vernünftige und etwas spießige Seite, aber er denkt in Bethanys Gegenwart eben nicht mehr mit dem Kopf. Sie macht aus ihm einen ganz anderen Menschen und so ist es ein ewiges Auf und Ab der Gefühle, das zu verfolgen einem beim Lesen manchmal sprachlos macht.
Bethany ist der Inbegriff der naiven und dümmlichen Kleinstadtschönheit, gewieft und geschickt manipulativ. Sie träumt von einem Leben als Arztgattin, einem Haus, einem funktionierenden Auto und einem schönen Leben ohne Geldsorgen. Doch immer wieder fällt sie zurück in ihre Gewohnheiten, feiert und trinkt als gäbe es kein Morgen. Und da sie nie ganz von Jesse loskommt, der ihr vertraut ist und mit dem sie tatsächlich auch sehr schöne Seiten erlebt hat, steuert sie die beiden Männer auf Kollisionskurs.
Jesse ist ein cooler Angeber, der sein gutes Aussehen und seinen Charme einsetzt, um sich nach außen toll darzustellen. Da fordert ihn ein spießiger kleiner Arzt aus der großen Stadt regelrecht heraus, um seine Verflossene mit allen Mitteln zu kämpfen.
Boyle versteht es hervorragend, die einzelnen Charaktere darzustellen und sie auf ihre Art agieren zu lassen. Man ahnt, wie sich die ganze Geschichte entwickelt, das tut aber der guten Unterhaltung keinen Abbruch. Und hinter allem lauert immer ein gesellschaftskritischer Blick und der Fokus auf Natur und Umwelt. Thematisch für mich nicht sein stärkstes Buch aber trotzdem auch hier wieder viel Spaß beim Lesen.