Toxische Wüste

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galaxaura Avatar

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„No Way Home“, der neue Roman von T. C. Boyle, erschienen 2025 bei Carl Hanser, hat mich leider trotz vieler Gedanken, die ich mir gemacht habe, nicht wirklich abholen können und erzeugt für mich keine Tiefe. Auch wenn, das bleibt unbenommen, Boyle natürlich seiner grundsätzlichen schriftstellerischen Qualität, die sich insbesondere in den dialogischen Passagen zeigt, treu bleibt.

Der Plot ist schnell umrissen: Terry, work-a-holic-Arzt aus Los Angeles, muss nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter, zu der er kaum Kontakt hatte, ihr Haus und das Erbe in Boulder City inmitten der Wüste Nevadas abwickeln. Ein Ort, an dem nichts los ist – aber in dem Terry auf Bethany trifft, die sich gerade frisch von Jesse getrennt hat, einem Typen, dem man nicht unbedingt im Dunkeln begegnen möchte. Bethany ist eine wandelnde Red Flag – Terry verfällt ihr dennoch und auch sie ist hooked – auch wenn Terry nicht wirklich der Typ Mann ist, den sie sucht. Ehe Terry sich versieht, okkupiert Bethany das Haus seiner Mutter und nistet sich immer tiefer in seinem Leben ein – mit fatalen Folgen...

Die Story war für mich leider durchweg absolut vorhersehbar, ich wurde nicht ein einziges Mal überrascht, die Figuren wirken stereotyp, weil Boyle uns nicht hineinschauen lässt in das „warum“, warum sind sie so geworden, wie sie eben sind? Die Ballung der psychotischen Züge war mir dann doch etwas sehr viel auf einem Platz, auch wenn Unglück oft Unglück anzieht. Schreiben kann Boyle wie gesagt, das las sich alles flüssig, wenn auch teilweise schon etwas geschwätzig. Die Dialoge sind, wie immer bei Boyle, ein Genuss, er schaut den Menschen sehr genau auf den Mund und kann hier absolut realistisch und unterhaltsam schreiben. Doch der Plot? Wir lesen das Musterbeispiel einer mehrfach toxischen Beziehung mit viel Narzismus und Verdrängungsanteilen, durchaus gut herausgearbeitet. Interessant ist dabei, wie alle Charaktere innerhalb ihrer Begrenzungen um ein gutes Leben kämpfen, die gewählten Strategien sind dabei nur per se nie erfolgsversprechend. Gerade Bethany ist da wirklich eine tragische Figur in ihrer Beharrlichkeit, mit der sie darauf hofft, dass das Leben noch ein besseres Stück vom Kuchen für sie parat hält als das, was sie in ihren Händen hält.

Warum heißt das Buch „No Way Home“ statt „Toxic as Hell“? Ich habe das Gefühl, genau das ist der Kern, das Strugglen um ein Zuhause, bei etwas Ankommen, was Sicherheit und ein gutes Gefühl verspricht – und was die Personen alle nie erreichen können, trotz der immer krasseren Mittel, die gewählt werden, weil sie nie an den Kern rangehen, den, den Boyle uns auch verweigert: Wie bin ich zu dem geworden, der ich bin? Was muss ich innerlich bewältigen und auflösen, damit ich zu dem werden kann, der ich gerne wäre? Dabei ist interessant, dass die Menschen qua Milieu eigentlich alle grundsätzlich Zugang hätten zu Veränderungen, selbst Bethany ist mit ihrer Arbeit im Krankenhaus im Hierarchieranking der Gesellschaft zwar am weitesten unten, aber eben nicht komplett ungebildet oder schon abgestürzt. Sehr eindrücklich und bedrückend der hohe Konsum weicher bis harter Drogen, der sich durch den Roman zieht – ich sehe da ja auch ein großes gesellschaftliches Problem, auch hier in Deutschland. Aber die Figuren des Romans setzen sich einfach aus, schwimmen im Matsch der Perspektivlosigkeit, sind nicht bereit, sich oder etwas zu verändern: sie kämpfen, aber am falschen Ende, sie verweigern Erkenntnis und scheitern so immer wieder. Es ist eine noch nicht einmal kleinbürgerliche Welt ohne Therapie – nun könnte man mutmaßen, dass Boyle, eigentlich ein politischer Autor uns damit America in a Nutshell demonstrieren möchte, jedoch das Buch fühlt sich für mich gar nicht so an und das wäre auch sehr oberflächlich. Vielleicht wollte Boyle auch einfach nur genau diese Geschichte schreiben – und da spräche nichts dagegen, wenn sie neu wäre und einzigartig. Aber mich hat die Stagnation im Festhalten der Charaktere leider nicht berührt, und mir fehlt Tiefendimension.

Formal arbeitet Boyle mit eigentlich spannenden Perspektivwechseln – aber sogar die bieten kaum neuen Erkenntnisgewinn. Was bleibt ist ein Psychogramm narzisstischer Menschen in toxischen Beziehungen – mit all der Widerlichkeit und Larmoyanz, die damit einhergeht. Das funktioniert – und ist vorhersehbar, zumindest für mich. T. C. Boyle war schon deutlich stärker unterwegs.