Hier bin ich, Mom

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Mein Dad ist tot". Eine Aussage Millies von vielen. Und ihre Mom? Die ist weg. Was ist mit Millie? Die vermisst natürlich ihre Mom und möchte sie auch suchen. Nur... wo ist sie? Oder wie kam es dazu? Millie ist sieben Jahre alt und führt ein Buch über alle toten Dinge. Allerdings konnte sie es nicht fassen, dass ihr Dad eines Tages auch ein totes Ding sein wird. Doch eines Tages war es so, er verstarb im Krankenhaus an Krebs. Einige Zeit später ging Millies Mom mit Millie ins Kaufhaus. "Warte hier", sagte sie. Millie tat wie erwartet, sie wartete. Zwischen der riesigen Damenunterwäsche. Nur, ihre Mom holt sie nicht ab. Irgendwann gesellt sich Karl zu ihr, Millie freundet sich, begleitet von ihrer kindlichen Naivität, mit Karl an. Karl ist alt und sammelt Bindestriche. Bindestriche? Sie sind das Leben. Auf einem Grabstein steht das Geburts- und das Sterbedatum. Dazwischen ist ein Bindestrich. Zwischen dem Geburts- und dem Todesdatum auf dem Grabstein steht auch ein Bindestrich. Das ganze Leben, der Mensch, der der Tote war, alles nur ein Bindestrich.

"Und wo bekommst du sie her", fragt Millie. "Alte Leute werden nie verdächtigt". Karl entscheidet sich schließlich, es sich zur Aufgabe zu machen, Millie zu helfen, ihre Mutter zu finden. Zu den Beiden gesellte sich schließlich noch ein totes Ding dazu. Eine Schaufensterpuppe namens Manny. Die den beiden aus der ein oder anderen Situation helfen wird... Zuerst heißt es aber fliehen. Eine Kaufhausmitarbeiterin möchte nämlich die Polizei rufen, um Millie neue Eltern zu beschaffen, Millie möchte aber keine neuen Eltern. Deshalb die Flucht aus dem Kaufhaus. Karl landet zunächst auf der Polizeistation wegen des Verdachts wegen Kindermissbrauch - schließlich treibt sich ein alter Mann nicht einfach so mit einem kleinen Mädchen herum. Millie rennt währendessen nach Hause, lernt aber die zunächst etwas eigenartige Agatha kennen. Sie ist auch alt und verbringt jeden Tag damit, ein Buch über das Alter zu führen. Seitdem ihr Mann gestorben ist, saß sie erst nur im Haus und schrie jedes Wort, das sie dachte. Irgendwann nahm Agathe sich Millie an und wollte mit ihr nach Melbourne fahren, weil Millie daheim den Reiseplan ihrer Mutter fand und sich Mom wahrscheinlich dort befinden wird. Durch einen Zufall treffen sie wieder auf Karl und dieser begleitet ihre Reise. Eine Siebenjährige, eine Plastikpuppe und zwei Alte. Auf ihre alten Tage erleben sie immer wieder ungewöhnliche und spannende Dinge, die ihnen im Lebtag nie passiert sind - auf der Suche nach Millies Mom. Überall hinterlässt Millie Hinweise führ ihre Mom, angefangen beim Kleiderständer, auf denen steht "Hier bin ich Mom" oder "Warte hier", für den Fall, dass sie wiederkommen sollte, ohne, dass Millie anwesend ist.

Die Geschichte, die erzählt wird, ist eine ganz unkonventionelle, aber doch sehr gelungene Geschichte. Ein kleines Mädchen wird mit dem Alltag und dem Leben konfrontiert. Die Sprache des Buches ist einfach, der Ausdruck der kindlichen Naivität Millies wird durch den einfachen Satzbau gut untermalt. Gespräche werden nicht direkt als solche gekennzeichnet, nur durch eine kursive Schreibweise. Ohne es zu lesen, ist es unklar, wer welche Aussage tätigt, allerdings ist es durch den Zusammenhang doch eindeutig bestimmbar. Der Erzähler ist distanziert, es wird nicht direkt aus der Sicht einer Person beschrieben, eher aus der Perspektive eines Erzählers, der sich je nach Kapitel auf die Ansichten einer Person fokussiert. Dadurch, dass die "Über"kapitel wie die einzelne Person benannt werden, ist auch klar ersichtlich auf wessen Fokus die Geschichte gerade liegt. Die wenigen Charaktere erschienen mir auf dem ersten Weg "komisch" und eigenartig, allerdings werden sie mir im Laufe der Geschichte sehr sympathisch. Mit der verschrobenen Art Agathas oder der Figur Karl können sich sicherlich einige alte Menschen identifizieren, auch wenn sie wohl weniger eigenartige Verhaltensmuster aufweisen.

Die Charakter sind gut ausgearbeitet und die Vorstellungskraft wird gut durch die Beschreibungen aktiviert. Einziger Kritikpunkt wäre, dass es mir dubios erscheint, dass das Mädchen beim Sehen von Toten keinerlei Scheu oder Angst zeigt, wie man es von Kindern ihres Alters erwarten würde, meines Erachtens erscheint sie mir ein bisschen zu stark und dies macht sie vielleicht ein bisschen gefühlskalt, allerdings schafft es sie immer wieder, mir sympathisch zu werden. Außerdem hat mich gerade Agatha immer wieder zum Schmunzeln gebracht mithilfe ihres eigenartigen Charakters. Beispielsweise konnte sie keinem Mann mehr in die Augen sehen, seitdem sie nach ihrer Hochzeitsnacht, zum ersten Mal männliche Genitalien sah. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass jeder Mann damit zwischen den Beinen ausgestattet ist. Erst, als ihr Mann alt wurde, schaffte sie es wieder, männlichen Altersgenossen wieder in die Augen zu sehen, aus Mitleid, mit dem Hintergedanken, dass ihr "bestes Stück" nun weniger funktionsfähig, faltig und alt ist.

Überdies kann man sagen, dass das Buch spannend geschrieben ist. Ich habe mich beispielsweise beim Lesen des Buches gefragt, wo die Mutter ist und weil ich deren Geheimnis auf die Schliche kommen wollte, ist das Interesse und der "Weiterlesen-Wollen"-Wunsch geweckt. Ich bin vom Ende definitiv nicht enttäuscht worden, sondern ich bin positiv überrascht.

Fazit: Das Buch ist insgesamt eine Lektüre mit einer faszinierender, zugleich aber auch auf eine gewisse Weise traurige Geschichte. Es ist ein gutes Stück Literatur, das einem zum Nachdenkenn anregt und sich selber auch Fragen über das eigene Ende stellen lässt, andererseits aber auch hilft, den Tod als einen Teil des Lebens zu akzeptieren.