Die Schwerkraft eines Verbrechens

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Danya Kukafkas “Notizen zu einer Hinrichtung” beginnt an dem Tag Ansel Packers Hinrichtung. Die Kapitel aus seiner Perspektive sind in der zweiten Person geschrieben und bilden einen Countdown bis zur geplanten Setzung der Giftspritze. Kukafka schafft es diese ungewöhnliche Perspektive umzusetzen und die beklemmende Atmosphäre auf den Leser zu übertragen. Mit jeder umgeblätterten Seite kommt man dem unausweichlichen Schicksal näher, man selbst sitzt in der Zelle neben Ansel und wünscht sich man könnte aus diesem deterministischen Strudel doch nur ausbrechen.
Unterbrochen wird Ansels letzter Tag durch die Erlebnisse dreier Frauen in seinem Leben. Die erste ist seine Mutter Lavender, die 1973 den kleinen Ansel auf die Welt bringt und von dessen Bedürfnis nach Zuneigung vollkommen überfordert ist. Saffron ist ein Mädchen, das er als Kind trifft, Hazel eine junge Frau, deren Schwester er als Student datet. Doch auf die eine oder andere Weise begleiten sie alle ihn ein Leben lang. Dabei schafft Kukafka es, nicht zu sehr ins sentimentale abzudriften und lässt die Leserin selbst empfinden. Hier muss auch die Übersetzung gelobt werden, Andrea O’Brien hat den Roman hervorragend mit einem unglaublichen Fingerspitzengefühl übersetzt.
Ansel hatte eine traumatische Kindheit, doch Kukafka entzaubert das Narrativ des gequälten, intelligenten Serienmörders. Ansel Packer ist ein vollkommen banaler Kerl, der seine Unzulänglichkeit, seine Emotionen zu verarbeiten, in Gewalt gegen Frauen entlädt. Dadurch, dass wir auch seine Perspektive einnehmen, ist es fast unmöglich, nicht auch etwas Verständnis für ihn zu entwickeln. Ansel denkt er verdient mehr als das alles, hätte er nicht so viel mehr unter anderen Umständen sein können? Doch seine Handlungen und Gedanken entlarven ihn. Es ist Ansel unmöglich, die Schuld bei sich selbst zu suchen, während die Frauenperspektiven dies ständig tun.
Hier spiegelt sich auch die gesellschaftliche Neigung zum Victimblaming: Anstatt zu fragen, warum ein Täter sich dazu entschieden hat, Gewalt auszuüben, muss ein Opfer sich rechtfertigen, wieso es zum Opfer geworden ist.
Kukafka scheut sich nicht, Fragen zu stellen auf die sie keine Antwort hat, auf die es vielleicht auch gar keine gibt. Was wäre wenn? Wie können Menschen sich ändern? Was ist gerecht?
Dabei rehabilitiert sie nicht Ansel, sondern hinterfragt eher, warum er eine so zentrale Rolle einnimmt, denn diese Fragen beziehen sich auf alle Charaktere in dem Roman. Die Frauencharaktere sind realistisch und keinesfalls perfekt, doch sie sind genauso wie Ansel eigenständige Personen, die ihr eigenes Schicksal zu lenken haben. Und nicht Ansels.
“Notizen zu einer Hinrichtung” ist ein nachdenkliches und wichtiges Buch, das sich einer wichtigen Thematik des gesellschaftlichen Diskurses widmet, und das einen noch lange begleitet, selbst wenn die letzte Seite umgeblättert wurde.

Rezension von Brommselbooks. https://brommselbooks.wordpress.com