Brillantes Debut!

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galaxaura Avatar

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Mit „Noto“ ist Adriano Sack ein schriftstellerisch brillanter und emotional extrem berührender Roman der Meisterklasse geglückt. „Noto“ fängt die dunklen Wolken über den Bergen Siziliens genauso atmosphärisch ein wie die aufgehende Sonne über dem Meer, es ist ein Buch über Trauer und Verzweiflung – und über Leben, Leben, Leben! Und die Liebe.

Konrad bringt die Asche seiner großen Liebe, Adriano, nach Sizilien, um sie dort zu zerstreuen. Sizilien, der Ort ihrer Liebe, der Ort, an dem mit einem Haus, dass sie aus einer Laune heraus anfingen zu bauen, ein Bekenntnis zu ihrem Miteinander steht. Ein Miteinander, das in den letzten Jahren auch aus viel Trennung bestand, aber Trennung, die Raum gibt, die Atmen möglich macht und immer wieder neues Aufeinanderzugehen: „Ich brauche meine Schlösser und Inseln, zu denen Du keinen Zutritt hast.“

Adriano ist einen viel zu frühen und viel zu sinnlosen Tod gestorben (gibt es sinnvollen Tod?) und hat Konrad überfordert und überrumpelt mit einer eben genau nicht Leere, sondern einer Fülle zurückgelassen, eine Fülle von schwebenden Erinnerungen und unglaublicher Präsenz, von der Konrad sich nicht befreien kann und vielleicht auch nicht will. „Du musst dich öffnen! Entpanzern!“ Dieser Herausforderung stellt sich der einsame Mann, der nicht nur die Tage seit Adrianos Tod immer exakt benennen kann, sondern auch die Stunden.

Sack spielt eindrücklich mit Sprache und Bildern für die emotionale Katastrophe, Bilder, die am Anfang des Romans traumatisch und düster sind, in denen immer eine Hälfte fehlt und es viel um das Sehen geht, um den Kontrast zwischen Fehlen und Vernichtung und Dasein und Horizont. Wenn in der Mitte des Buches ein Feuer fast den gesamten Berg aufzufressen droht, und eine Entscheidung im Raum steht – abfackeln, Asche zu Asche oder doch löschen und retten, was zu retten ist – dann sind alle Emotionen klar auf dem Tisch, ohne jemals benannt werden zu müssen. Überhaupt ist es das, was diesen Roman ausmacht, wie der Autor unglaublich geschickt alles Innen in ein Außen bringt und so wirklich tief ins Herz trifft, weil er eben nicht verkitscht ein Innen beschreibt.

Sein zweiter genialer Schachzug ist, dass er Adriano weiter Sprechen lässt und dieses Sprechen kein Dialog wird, sondern immer über allem schwebt, wie ein Voice Over, das gar nicht zwingend das Geschehen kommentiert, aber immer klarer herausarbeitet, wie die Beziehung und das Zusammenleben von Konrad und Adriano waren, was nun alles fehlt. Mit aller Deutlichkeit wird gezeichnet, dass wir Vergangenheit nun einmal nicht aufholen können und Zukunft immer anders sein wird, als wir sie planten.

Wann also ist Jetzt und wie lebt man darin? Wann darf man wieder lieben und ist jedes Lieben nur ein Außer Sich Sein? Wie viel Trauer muss sein, wie viel darf, wie viel Zeit muss man den Atem anhalten, bis man sich erlösen darf davon? Und muss das alles überhaupt? Kann man annehmen, dass alles im Leben seine Zeit hat und ganz ohne Schmerz? Es sind existentielle Fragen, die dieser Roman einem so karg und schroff entgegenschreit, wie die Felswände um Palermo aufragen. Und die Menschen, die in ihm durch das Leben reisen, sind dabei so warm und herzlich und glaubwürdig, wie der Grillo abends auf der Terrasse, wenn die Nacht still wird. Wer Sizilien kennt, sieht es perfekt eingefangen mit all seinen Widersprüchlichkeiten und den vielen Bezügen auf lokale Gegebenheiten. „Sizilien ist wie eine Kaktusfeige“, sagte er: „Du spürst es zuerst kaum, aber es bohrt sich etwas in dein Fleisch, was du nie mehr rauskriegst.“ Am Ende liegt es immer an uns. Wir sind schon glücklich. Wir wissen es nur noch nicht.

Unbedingt erwähnt werden muss auch noch das wunderschöne Cover im Stil des Expressionismus mit seinen leuchtenden Farben – ist mir sofort ins Auge gesprungen und bildet für mich perfekt alles ab, was in diesem Roman steckt. Eine ganz klare Leseempfehlung. Wer dieses Buch nicht liest, hat wirklich was verpasst.


Ein großes Dankeschön an vorablesen.de und Nagel und Kimche in der Verlagsgruppe Harper Collins für das Rezensionsexemplar!