Sprunghafte, um sich selbst kreisende Protagonistin - leider kein Buch für mich

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nessabo Avatar

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Ich schätze den Ansatz und das Verlagsprogramm des Pola-Verlags wirklich sehr, aber die erste Direktveröffentlichung war für mich leider eine herbe Enttäuschung. Das liegt zum einen am Schreibstil, für den mensch wohl einfach gemacht sein muss, und zum anderen an der Hauptfigur, die im Zentrum der Handlung steht. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, andere Figuren erscheinen nur am Rand. In solchen Fällen brauche ich entweder eine handlungsgetriebene Erzählung oder eine emotional vielschichtige, nahbare Protagonistin. Beides ist in meinen Augen nicht geglückt.

Rosa ist einfach (und damit steht und fällt meine Bewertung) eine mir unglaublich unsympathische Protagonistin. Sie dreht sich eigentlich die ganze Zeit nur um sich selbst, ihre Vergangenheit und irgendwelche Fantasien zu bereits vergangenen Freundinnenschaften, ohne sich aber auch nur in irgendeiner Form um diese zu bemühen. Sie ist absolut grenzüberschreitend und stalkt so zum Beispiel ihre ehemalige Freundin Leni, verfolgt diese und deren Kinder sogar bei einem privaten Ausflug. Gleichzeitig interessiert sie sich dann aber auch überhaupt nicht für Leni, sondern will nur die eigene Wahrnehmung schildern. Wie kann eine Figur denn so egozentrisch sein und sich dann fragen, warum sich Menschen von ihr abgewendet haben? Auch ihre kurzen Treffen mit Männern sind immer kühl, distanziert und einfach komplett uninteressiert von ihrer Seite aus. Nicht, dass sie irgendwem irgendetwas schuldig wäre, aber wer Beziehungen haben möchte, muss halt auch in sie investieren. Sie hat mich einfach die ganze Zeit nur genervt. Selbst, als sie später im Buch mit Konsequenzen für ihr Handeln bedacht wird, denkt sie noch, dass sie einfach missverstanden ist. Meine Güte! 😠

Rosa ist auch regelrecht besessen von ihrer Vergangenheit im Kloster, was ich in dieser Intensität einfach nicht nachvollziehen konnte. Klar, sie hat ihre Mutter Conny jung verloren, was eine traumatische Erfahrung sein kann. Aber die Beziehung zu Conny wird an keiner Stelle so wirklich emotional beschrieben, sodass ich sie nicht greifen kann und mir das Verständnis für Rosas kindliches Festhalten an allem Alten fehlt. Es findet kein Wachstum statt, keine Selbstreflexion (bis auf wenige Momente), stattdessen säuft sie sich regelmäßig halb in die Bewusstlosigkeit und raucht maßlos. Der Trope ist ja leider noch immer ein zweifelhafter Standard, hier hat er meiner Genervtheit die Krone aufgesetzt. Progressiv finde ich diese Darstellung wirklich nicht.

Als Tag zum Buch wurde auch Klassismus angegeben, was ich für eine fehlleitende Angabe halte. Leni und ihr erfahrener Klassismus sowie die frühere Armut kommen nur in wenigen Sätzen vor, ohne dass es irgendeine Relevanz für die Handlung hat oder Reflexionsprozesse bei mir angestoßen hätte.

Der Schreibstil hat mir leider auch gar nicht zugesagt. Die eingestreuten englischen Phrasen sollen sicherlich Rosas Entfremdung zur Muttersprache und auch zu den deutschen Wurzeln abbilden, ich fand sie aber äußerst unauthentisch gesetzt. Es wird mit einer poetischen, sprunghaften, emotional wenig tiefen Sprache gearbeitet, die mir einfach nicht gefällt. Zu oft war ich nach 3 Sätzen raus aus dem Lesefluss, weil Rosa schon wieder zum nächsten Gedanken springt, bei dem dann manchmal nicht einmal klar ist, ob er der Realität oder ihrer Fantasie entspringt. Teilweise verschwimmen auch die Erzählperspektiven, sodass es sich im späteren Verlauf des Buches irgendwie so anfühlte, wie ich mir eine Psychose vorstelle. Mein Lesefluss wurde zum Ende hin etwas besser, aber bis zum Schluss fehlte mir jeglicher emotionaler Tiefgang und ich behalte das Buch in erschöpfender Erinnerung.