Beklemmendes Ratespiel um Schuld und Sühne

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berni47 Avatar

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Inhalt: Ellie ist eine 23jährige Master Studentin, Steven ihr 17 Jahre älterer Freund. Dass sie sechs Monate zusammen sind, wollen sie mit ihrem ersten gemeinsamen Urlaub feiern. Dazu ziehen sie sich für ein verlängertes Wochenende in ein einsam gelegenes Ferienhaus zurück. Einen imposanten Palast aus Glas und Stahl in der Nähe der Chesapeake Bay.
Doch Ellie und Steven scheinen Geheimnisse zu haben. Ist Steven Ellie treu? Ständig erhält er Nachrichten von J. aufs Handy. Auch kontrolliert er Ellie. Er sucht das Kleid aus, das sie zur Party trägt. Er kauft für sie die Süßigkeiten, die er mag. Und auch im Bett gibt er den Ton an und nutzt Ellies Gefallsucht aus. Ellie scheint sich nur nach Stevens Wünschen zu richten. Doch ist Ellie das, was sie zu sein vorgibt? Und was schleppt Ellie in ihrer überschweren Reisetasche mit?

Figuren: Der Thriller hat drei Sichten. Die von Ellie, die von Steven und die einer dritten Person. Deren Abschnitte haben keinen Namen, nur Datümer. Ellie ist die rehäugige naive Studentin, die Literatur liebt. An manchen ihrer Wälzer hängt sie so sehr, dass Steven fast eifersüchtig ist. Ihrem Schwarm will sie aber alles recht machen. Wenn Steven ihr die Welt erklärt oder über Literatur doziert, klebt sie an seinen Lippen. Und der überhäuft sie mit teuren Geschenken wie dem Kleid, das sie dann zu zu einer Akademiker Party trägt. Als Steven sie aber dorthin mitnimmt, ist sie so unsicher, dass sie sich an ihn klammert.
Der durchtrainierte, charismatische Steven ist so vermögend wie selbstsicher. Nur beruflich wird auf seinen berühmten Vater reduziert. Da ist er nur Stewart Hardings Sohn. Doch bald hofft er aus dem Schatten seines Vaters zu treten, da ihm eine Professur an der Columbia angeboten wurde. Endlich kommt seine Karriere doch noch in Schwung.
Ellies und Stevens Gedanken konnte ich gut folgen. Interessant war von Beginn an, wie Steven Ellie sieht. Andere Männer stellen der schönen Ellie nach. Da ist Steven dann gern ihr Ritter in weißer Rüstung, wenn er sie vor denen rettet. Gut getimt sind die Wechsel, wenn die Abschnitte von Ellie zu Steven oder von Steven zu Ellie wechseln. Wenn z.B. die Szene eines Abendessens erst aus Stevens Sicht erlebt wird, um dann in Ellies Gedanken einzutauchen. So konnten mich Ellie, aber auch Steven erstaunen, wenn sie für den anderen unvorhersehbar handelten.
Stark ist die dritte Person, mit der ich am besten mitfühlen konnte, da deren Abschnitte so eindringlich und intensiv sind. In einem Nachwort verrät van Rensburg, dass die Erfahrungen dieser Person eine drastische fiktionale Version ihrer eigenen sind.

Spannungsaufbau: Dass der Thriller nicht gut ausgeht, zeigen die ersten Seiten. Da trifft die Polizei vor Ort ein und findet eine blutige Szenerie vor. So wird das Wochenende enden. Das ganze Ferienhaus ist voller Blut, überall die Spuren von Chaos, Verwüstung und Zerstörung, die Steven und Ellie hinterlassen haben. Da der Thriller so heftig los geht, ist schon mal klar, dass das kein feinsinniges Buch auf psychologischer Ebene wird.
Nach dem drastischen Start beginnt das gemeinsame Wochenende von Ellie und Steven ruhig und harmonisch. Mir passiert dann erst mal lange zu wenig. Zwar gibt es manche ungute Vorzeichen. Kurz vor dem Wochenende hatten Ellie und Steven einen so heftigen Streit, dass es den ersten gemeinsamen Urlaub fast nicht gegeben hätte. Und als Ellie vor der Fensterfront im Wohnzimmer des Ferienhauses steht, sieht sie einen Schatten am Waldrand. Einen Wolf oder einen Bären? Aber mir ist das einfach zu wenig, bis dann endlich mit dem ersten Twist die Stimmung kippt und der Thriller beginnt. Der Spannung hätte gut getan, wenn die Handlung schneller in die Gänge gekommen wäre. Eine ausführliche Einleitung ist doch nur sinnvoll, um Figuren vorzustellen, mit denen ich dann mitleiden soll. Aber Steven und Ellie sind in ihrer Beziehung so oberflächlich wie Abziehbilder aus einem Kitsch Roman. Erst später werden sie interessanter, wenn ihre Gedanken auch Erinnerungen enthalten und so mehr aus ihrer Vergangenheit bekannt wird.
Nach dem ersten Twist ist das Buch dann ein intensives Kammerspiel. Blutig und brutal. So wie van Rensburg die Tritte, Schläge und Kämpfe beschreibt, schmerzen die Wunden, die Schnitte sind qualvoll. Die Kämpfe so realistisch, dass es weh tut. Und auch der Winter ist ein Feind. Das abgelegene Ferienhaus versinkt nach einem Sturm im Schnee. Wenn Ellie oder Steven sich in der Nacht durch den Schnee kämpfen, spürte ich die Kälte, die brannte, stach und ihnen den Atem nahm.

Fazit: Nur du und ich ist ein bewegender MeToo Thriller. Das tief verschneite, einsame Ferienhaus an der Chesapeake Bay ist eine eindrucksvolle Location, bevölkert von den Geistern der Vergangenheit. Ich habe mir nur gewünscht, dass der Thriller schneller in die Gänge gekommen wäre, um dann die hohe Spannung durchzuziehen. Der langatmige Start und die Verschnaufpausen im letzten Teil hätten kürzer sein können, auch da ich die Auflösung früh vermutet habe.