Untiefen der menschlichen Beziehungen

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darcy Avatar

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Gleich die erste Seite könnte geneigte Leser gleich verprellen. Wir treffen auf Hector, der genüßlich in seinem Bett aufwacht und sofort Sex im Kopf hat. Entweder mit seiner Frau oder jemandem namens Connie. Hector ist ein typischer Mann, ein kleiner Macho, ein gutausehender Grieche, der tut und denkt, was wahrscheinlich die Mehrzahl der Männer so tut und denkt.

Der Autor geht ein kleines Risiko ein mit diesem Anfang. Er hätte auch einen geschmeidigeren Anfang wählen können, um seine Geschichte aufzurollen. Aber er wählt Hector und gibt damit den Grundtenor seines Buch vor. Das Buch ist in 8 Kapitel unterteilt, jedes trägt den Namen der Person, aus dessen Sicht die Dinge geschildert werden.. In Hectors Kapitel begegnen wir einer großen Anzahl Personen. Das ist zuerst verwirrend, aber schon bald, in Kapitel 2 bei Anouk, bekommen alle schon mehr Format und man beginnt, die Bekannt- und Verwandtschaftsverhältnisse zu überblicken.

Das Buch spielt in einem kleinen Mikrokosmos. Hectors Familie, nach Australien ausgewanderte Griechen, sind in ihrer neuen Heimat schon reich verzweigt. Trotzdem haben sie ihre Wertvorstellungen aus Griechenland mitgebracht. Hectors Frau Aisha ist Inderin, ihre Familie sind eher ihre beiden Freundinnen aus der Schulzeit. Jede führt ihr Leben, hat Familie und Freunde. Zudem kommen Kollegen hinzu. Trotzdem behält man bald den Überblick.

Die Handlung entwickelt sich nicht stringent. Die Ohrfeige auf der Party ist der Auslöser für das Aufbrechen unterschwellig gärende Vorbehalte und unterdrückte Gefühle. Der Autor entwickelt dabei die Charaktere und Geschehnisse aus den dunklen ungefegten Ecken der Seele heraus. Sie definieren für ihn die Personen. Er läßt uns ihre Mißgunst spüren, die sie für andere heimlich hegen, ihren Neid, ihre unterdrücke Wut, sexuelle Begierde, Aggressionen, hämische Gedanken. Das mag jetzt sehr negativ klingen, aber es ist zutiefst Menschlich. Er seziert die Bindungen, die zwischen den Personen bestehen und legt ihre Persönlichkeiten frei. Und auch wenn Tsiolkas Sex, Drogen, Alkohol und Aggression thematisiert, so ist er doch nicht vulgär in meinen Augen. Ebenso kann er Zuneigung, Loyalität und Freundschaft beschreiben, aber er lotet bedächtig die dunklen Untiefen aus. Dabei ist seine Sprache durchaus ansprechend. Im Laufe des Buches findet er zu einer harmonischen Stimme, die man im ersten Kapitel noch nicht so erahnen konnte.

Mir fiel es leicht, in jedem Kapitel in die kurze Episode aus dem Leben der Figur hineinzufallen. Ich war auch gespannt, wie sich die Sache um die Ohrfeige entwickelte. Denn sie bleibt das Band, das die Geschichte zusammenhält. Gegen Ende entlässt uns der Autor wieder aus diesem Mikrokosmos dieser mulitkulturellen australischen Gemeinschaft.. Nicht jeder Frage wurde beantwortet, man könnte noch ewig weiteren Figuren folgen und hören, wie es im Leben dieser Leute weitergeht.

Für mich war "Nur eine Ohrfeige" ein überraschendes Leseerlebnis. Eine wohltuend andere Art von Buch, Abwechslung von meinem Lesealltag, die ich so nicht erwartet hätte nach der Leseprobe. Ich habe mich noch gar nicht bedankt bei Vorablesen für dieses Buch und möchte das hiermit tun, denn ansonsten wäre mir dieses Leseerlebnis entgangen. "Nur eine Ohrfeige" mag nicht jedem gefallen ob seiner Obsession für Drogen, Alkohol, Sex und negativen Gedanken. Ich empfand es als sehr menschlich und schonungslos und eindrucksvoll. Einen derart tiefen Einblick in das Geflecht menschlicher Beziehungen findet man selten.