Leider nicht mein Fall

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madame—rivkele Avatar

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"Nur nachts ist es hell" von Judith W. Taschler geht der Roman "Über Carl reden wir morgen" voraus, was mir nicht bewusst war. Es lässt sich zwar auch als ein eigenständiges Buch lesen, doch ich kann mir vorstellen, dass es in mancherlei Hinsicht von Vorteil ist, wenn man auch die Geschichte Carls kennt, der der große Bruder der Ich-Erzählerin ist.

"Nur nachts ist es hell" ist im Prinzip ein etwas über 300-seitiger Brief von Elisabeth Tichy an ihre Großnichte Christina Brugger, in dem sie ihre Lebensgeschichte erzählt.
Anhand ihres Lebens gibt die Ich-Erzählerin außerdem einen Abriss der Geschehnisse der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder: Vom Attentat in Sarajevo und dem Ersten Weltkrieg, über die verschiedenen Erfindungen und sonstigen Errungenschaften während der Zwanziger Jahre, bis hin zum Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. Besonders im Fokus steht dabei die Geschichte der Gynäkologie und die (moralische) Frage des Schwangerschaftsabbruchs.

Leider waren die Schilderungen, die an sich sehr informativ waren, in meinen Augen nicht in der Erzählung eingebettet, sondern kamen immer etwas überraschend daher.

Die Tatsache, dass es sich um eine Art Brief handelt, führt dazu, dass sich das Buch, trotz einiger Dialoge, wie ein sehr langer Monolog liest, was dazu führt, dass weder die Protagonistin selbst noch die anderen Figuren so recht an Tiefe gewinnen.

Schade fand ich außerdem, dass sie in Bezug auf ihre (verlorene) Jungfräulichkeit von einem "fehlendem Hymen" redet, das ihr "im Krieg abhanden gekommen war". Dadurch wird der Mythos des Jungfernhäutchens, das beim ersten Geschlechtsverkehr reist (und blutet) und somit der (sexuellen) Unterdrückung der Frau dient, nicht aufgeklärt, sondern auch noch bestärkt.

Ich bin mir sicher, dass anderen das Buch gefällt. Da es, bis auf die Hymen-Szene, auch sehr gut recherchiert zu sein scheint, denke ich, dass es ein gelungener historischer Roman ist. Ich selbst habe mich allerdings schwer getan, ihn zu Ende zu lesen.