Geheimfavorit des Jahres

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herr_stiller Avatar

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Fünf Sterne für dieses Buch. Würde ich sagen. Ich weiß aber auch, dass vermutlich nicht alle Leser:innen meine Meinung teilen werden. Aber ich habe es gemocht, von der ersten Seite an, mehr als ich dachte und hoffte. Warum? Nun.

„Onigiri“ ist eine japanisch-deutsche Familiengeschichte. Eine Geschichte mit Familien aus zwei Gesellschaftsschichten. Aber auch eine Geschichte über das Vergessen, über Demenz, und was das mit Familien macht.

Die Hauptfigur in Yoko Kuhns Roman ist Aki, Tochter einer Japanerin und einem Deutschen. Ihre Mutter ist in ihren 20er-Jahren nach Deutschland gekommen, hat sich in mit Anfang 30 in einen zehn Jahre jüngeren Sohn reicher Eltern verliebt und er sich in sie. Sie haben geheiratet, zwei Kinder bekommen und sich wieder getrennt. Aki ist in München erwachsen geworden, bei ihrer Mutter und immer mal wieder bei ihren reichen Großeltern, hat geheiratet und mittlerweile selbst Kinder. Ihr Vater spielt keine allzu große Rolle, lebt in Berlin, meldet sich selten. Und dann gibt es noch die Familie in Japan, weit weg, immer mal wieder besucht, aber auch schon lange nicht mehr. Als Akis Großmutter stirbt und diese Nachricht nur wenig zu ihrer an Demenz erkrankten Mutter durchdringt, fasst sie einen Entschluss. Sie möchte noch einmal mit ihrer Mutter nach Japan reisen.

Vielleicht klingt das alles gar nicht so furchtbar aufregend und vermutlich ist es das auch nicht, soll es auch gar nicht sein. Aber Yoko Kuhn schreibt so ruhig, einfühlsam und gleichzeitig nüchtern, über das Leben ihrer Eltern, über ihre Großeltern, über sich selbst, aber vor allem über die Krankheit ihrer Mutter, dass ich das Buch kaum weglegen wollte. Auch nicht nach der letzten Seite.

Ich bin unglaublich gerne mit auf diese bewegende, traurige Reise gegangen, habe die kleinen Glücksmomente des Wiedersehens und Wiedererkennens miterlebt. Aber auch den Stress und die Hilflosigkeit, wenn Akis Mutter sich unwohl fühlt, ratlos ist, durch das Hotelzimmer geistert – aber dann ihren Frieden in ihrem Elternhaus findet. Die Ambivalenz, die Aki selbst im Haus ihrer deutschen Großeltern spürt, wie die Familie mit ihr umgeht und sie mit Geschenken überhäuft – und wie sehr sie gleichzeitig ihre Mutter ablehnen, nicht standesgemäß, fremd, selbst nach all den Jahren, selbst nach der Scheidung. Und Akis Wunsch, ihrer Mutter zu helfen, machtlos gegen diese Krankheit, für die es kein Heilmittel gibt – aber kleine Glücksmomente, vor allem, aber nicht nur in der fernen Heimat.

Ein leises Buch, ein sicher sehr persönliches Buch, vor allem aber: mein Geheimfavorit für die Lieblingsbücher 2025.