Was uns zustößt, erzeugen wir selbst

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buecherfan.wit Avatar

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“Opfer“ von Pierre Lemaitre ist der dritte Band einer Trilogie und erschien im Original bereits 2012 unter dem Titel “Sacrifices“. Im Mittelpunkt steht wieder der kleinwüchsige Kommissar Camille Verhoeven. In diesem Band geht es um einen ungeheuer brutalen Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft in der Passage Monier in Paris. Anne Forestier, eine etwa 40jährige sehr attraktive Kundin, kommt den drei Gangstern in die Quere und wird durch Schläge und Tritte so schwer verletzt, dass sie nur so eben überlebt. Sie wird für immer gezeichnet sein. Anne Forestier ist seit einigen Monaten die Freundin des Kommissars, der auf den Überwachungsvideos entsetzt mit ansehen muss, wie die Gangster die Zeugin malträtieren. Unter Verstoß gegen alle Dienstvorschriften reißt Verhoeven die Ermittlungen an sich. Er vertraut sich seinen Freunden nicht an und versucht, den Fall im Alleingang zu lösen. Für ihn gibt es schon bald kein Zurück mehr, und er setzt alles auf eine Karte. Er will Anne Forestier vor ihrem Verfolger retten, der sie immer wieder aufspürt. Hinzukommt, dass Verhoeven die Ermordung seiner Frau Irene vier Jahre zuvor nie überwunden hat.
Die eigentliche Romanhandlung umfasst nur drei Tage, wobei die Zeitangaben jeweils als Kapitelüberschriften fungieren. Die Erzählperspektive wechselt – von Camille zu Anne, und sogar der namenlose Gangster kommt immer wieder als Ich-Erzähler zu Wort. Der gebannte Leser ist sehr nah dran an der Geschichte, die in Echtzeit im Präsens erzählt wird. Die Handlung wird immer komplexer, und nichts ist, wie es scheint. Das betrifft auch die Identität von einigen handelnden Personen. Am Ende löst der Kommissar den Fall mit äußerst unkonventionellen Methoden und ohne Rücksicht auf Verluste. Den Schluss empfinde ich als halboffen. Eine Fortsetzung ist möglich.
Ich möchte noch eine Anmerkung zum Titel hinzufügen. Der deutsche Titel “Opfer“ ist doppeldeutig: Es könnten Opfer von Unfällen oder Verbrechen sein oder die Opfer, die wir für die Menschen bringen, die wir lieben. Beide Bedeutungen erscheinen passend, denn über weite Strecken ist nicht klar, wer hier Opfer, wer Täter ist. Der Originaltitel “Sacrifices“ bezieht sich eindeutig auf die zweite Bedeutung.
Ich fand den Roman sehr lesenswert und spannend und habe vor allem die zunehmende Komplexität der Handlung genossen.