Spannender als jeder Thriller

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marga_pk Avatar

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Wow! Dieses Sachbuch hat mich jetzt wirklich überrascht.
Ein Sachbuch über Medizin 3.0, das klang für mich erstmal nach reißerischer Schlagzeile – und als das Rezensionsexemplar zu mir kam, habe ich erstmal einen Schock bekommen. Was hatte ich mir da angetan? Einen dicken medizinischen Wälzer? Einen Blabla-Ratgeber für Verzweifelte?
Tatsächlich bin ich dann so sehr in dieses Buch gekippt, dass ich mehrere Abende lang nicht ansprechbar war – so spannend ist es.

Attia unternimmt mit uns eine Reise in unseren eigenen Körper. Aber nicht nur. Der Mediziner klärt uns nämlich auch über die neuesten Erkenntnisse in der Vorsorgemedizin auf (und da wurde es dann wirklich neu für mich.)
Zum Beispiel gab es da eine Reise zu den Osterinseln, wo man (bereits in den 1960ern) den Wirkstoff Rapamycin entdeckt hat, der sich als wahres Wundermittel entpuppte – nicht nur gegen Pilzerkrankungen, sondern auch als Medikament nach Organtransplantationen. Im Moment untersucht man seine lebensverlängernde Wirkung bzw. seine Nebenwirkungen. (An dieser Stelle musste ich dann aber doch schlucken: Werden irgendwann alle Rapamycin einnehmen? Vielleicht schon mit 15? Ein erschreckender Gedanke …)

Besonders aufschlussreich ist das Kapitel über die Fettleber. Klingt erstmal gruselig, und das ist es auch … aber das Buch ist so toll geschrieben, dass man es an dieser Stelle einfach nicht mehr weglegen möchte. Dass eine Fettleber nicht nur adipöse Menschen bekommen, weiß ich von einer nahen Verwandten. Sind die Fettspeicher (von denen nicht alle gleich viele haben) erst mal voll, muss der umgewandelte Zucker irgendwo anders abgelegt werden … nämlich in den Organen.

Besonders gern sieht sich Attia die Hundertjährigen an. Warum werden manche von uns so alt und andere nicht? Denn an der Ernährung allein kann es nicht liegen, manche rauchen und/ oder trinken sogar weit über ein gesundes Maß hinaus. Natürlich kann man auch einfach Pech haben. Kommt man, wie Attia selbst, aus einer Familie, in der viele sehr früh an einem Herzinfarkt gestorben sind, liegt die Wahrscheinlichkeit alt zu werden natürlich bei weitem nicht so hoch wie bei jemandem, dessen Verwandte alle sehr alt wurden.
Doch wie ist das überhaupt mit unserem Wunsch alt zu werden? Gehört dazu nicht auch der Wunsch, so lange wie möglich selbständig zu bleiben? Und am besten nicht nur das – sondern auch frisch, fröhlich und gesund?

Genau hier setzt Attia an. Es geht nicht unbedingt darum, wahnsinnig alt zu werden, sondern vor allem darum, lange gesund zu bleiben. Im Moment sieht es nämlich so aus, dass wir zwar alt werden (weil wir tolle Medikamente gegen Bakterien und Viren am Markt haben), was wir aber noch nicht in den Griff bekommen haben, sind Herz-/Kreislauferkrankungen, Krebs und Diabetes II. Ganz im Gegenteil, je ungesünder wir leben, desto kränker werden wir. Zu diesem Thema gibt es mittlerweile spannende Erkenntnisse aus der Genforschung — und an diesen lässt der Mediziner uns teilhaben. So lernen wir etwa, dass wir uns grundlegend von unseren Vorfahren unterscheiden – was uns damals einen Vorteil verschafft hat, heute aber eher Nachteile bringt. (Dass viel Obst gesund ist, war einmal ... heute kann der Smoothie durchaus schaden.)

Mit Peter Attia steigen wir in den Ring. Wir haben einen Kampf zu gewinnen – aber um ihn richtig zu kämpfen, müssen wir unser Ziel kennen und uns eine Strategie zulegen. Und diese wiederum verlangt, dass wir alles über unseren Gegner wissen.

Attia plädiert dafür, die Vorsorgemedizin zu verändern. Nämlich dahingehend, nicht erst zu handeln, wenn es zu spät ist und die Werte im Blutbild aus der Norm schlagen.
Seien wir doch ehrlich: In Österreich gibt es zwar die jährlichen Vorsorgeuntersuchungen, auch muss man, je älter man wird, einen wahren Ärzte-Marathon hinlegen, um zu herauszufinden, ob alles im Normbereich liegt. Das allein ist schon anstrengend. Aber manchmal ist es auch frustrierend. Bei meiner letzten Vorsorgeuntersuchung hieß es: Alles in Ordnung. Bei meiner vorletzten auch. Aber ich selbst sehe: Meine Blutzuckerwerte gehen in den letzen Jahren konstant nach oben … und auch wenn mein Body Mass Index im Bereich “gerade nicht untergewichtig” liegt, so weiß ich doch: Das ist doch nur deswegen so, weil Fett leichter ist als Muskelmasse.
Attia spricht genau diese Fakten an. Natürlich wissen wir alle, dass wir schon mit 25 richtig leben sollten, um alt zu werden. Was das Buch bietet, ist umfassende Kenntnis, wie wir unseren Stoffwechsel positiv beeinflussen können. Denn auch die Medizin ist in den letzten Jahrzehnten um einiges klüger geworden – und manches, das man früher gepredigt hat, hat sich mittlerweile als Unsinn herausgestellt (wie etwa, dass Eier böse sind.)

Tja. Irgendwann muss man diesen spannenden Schmöker aus der Hand legen. Und hier wird’s dann doch wieder anstrengend. Denn Wundermittel bietet Attia keines. Die Verantwortung liegt allein bei uns.

Noch frustrierender wird es an den Stellen, wo uns Attia erklärt, welche Werte eigentlich bei der Gesundenvorsorge untersucht gehörten. Standard ist das nämlich noch lange nicht … und ich schätze, dass man bei den Hausärzte*innen mit der Frage auch nicht besonders auf offene Ohren stößt. Aber vielleicht hat der Autor ja genau das bezweckt: dass nun alle bei der Gesundenuntersuchung betteln, etwas sehr, sehr Süßes trinken zu dürfen, um danach alle halben Stunden den Blutzuckerspiegel gemessen zu bekommen.

Ein wirklich tolles Buch, das dabei hilft, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Attia erklärt alles sehr anschaulich, sodass die Vorgänge im eigenen Körper auch für Laien verständlich werden.
Einziger Kritikpunkt: Bei einer angegebenen Seitenanzahl von 640 (von denen allerdings 90 Dankesworte und Glossar sind) werden sich viele abgeschreckt fühlen.