Ausverkauf einer Insel

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rosenfreund Avatar

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Klassenreisen nach Sylt und diverse kurähnliche Aufenthalte in einer wunderschönen Landschaft während der 60er Jahre prägten mein Syltimage. Als ich dann um 2000 herum erneut dahin zurückkehrte, war ich schockiert. Westerland voller steriler Bausünden, keine Inselbahn mehr, Kampen als Rückzugsort der Schönen und Reichen. Die Insel gehört jetzt nicht mehr den Insulaner, sondern den Investoren und Reichen.
Die Autorin schildert eindrucksvoll diese einschneidenden Veränderungen von kleinen Pensionen, in denen das Elternschlafzimmer vermietet wurde hin zum Luxusressorts für die sehr zahlungskräftige Klientel. Dabei liefert sie viele Anekdoten und Erlebnisse aus ihrer Kindheit, die sie humorvoll und nordisch nüchtern verpackt. Wehmut kommt bei diesem eklatanten Wandel auf, denn die Sylter können sich wegen der sehr hohen Mieten „ihre“ Insel kaum noch leisten.
Zwar wurden die Sylter Kinder früher während der Sommermonate vielfach sich selbst überlassen, denn die Frauen mussten bei der Privatvermietung ordentlich mit anpacken, aber es war eine heile Welt für die Familien. Heutzutage gibt es keine Geburtsklinik mehr, und auch die Panzerfahrer sind vom Strand verschwunden, denn sie stören den supertollen Eindruck, den die Insel „verkauft“.
Susanne Matthiessen berichtet voller Herzblut und Wehmut von dem zunehmenden Wohlstand für die Insulaner, der aber bedingungslos die eigenen Identität verkaufte. Andererseits muss angemerkt werden, dass in dieser Zeit kritiklose Anpassung an das Kapital, teilweise auch Korruption in vielen aufsteigenden Tourismusgebieten an der Tagesordnung waren, um auch den Privatbürger eine Gewinnmaximierung zu ermöglichen.
Die Autorin hat eindrucksvoll die Situation dargelegt und mir schöne Lesestunden beschert, aber aber auch eine starke Kritikneigung der Tourismusindustrie bei mir vertieft. Ich kann das tolle Werk jedem empfehlen