Sylt, wo der Gast Kaiser ist

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Ein richtig beschauliches Dasein scheint auf Sylt auch im Winter nicht stattzufinden. Doch zur Badesaison überspült ein wahrer Tsunami an Badegästen die Insel. So erfährt der Leser nicht nur die Familiengeschichte der Sechziger- und Siebzigerjahre, sondern auch eine Fülle von Anekdoten, welche die besuchende Prominenz hinterlassen hat. Alles aus der Sicht und mit dem frühreifen Verständnis eines Kindes. Susanne Matthiessen spart dabei nicht mit schonungslos kritischen Aufdeckungen, auch von Peinlichkeiten.

Es sind skurrile, teils bizarre Geschichten. Auch wird ein Licht auf die damalige High Society geworfen, ebenso auf die Sitten und den Alltag der Einheimischen. Nichts weniger als ein Blick auf das allzu Menschliche. Manchmal zuviel für kindliche Augen, etwa Mord und Selbstmord eines Gästepaares. Mit eingebunden ist die Entführung der Autorin als Baby. Zuerst wird sie von den Eltern nur zum Schlafen in das Bett von Gästen «ausgeliehen», später von denen «in die Ferien mitgenommen», aber in der Folge entführt und von einem ehemals hohen Nazi wiedergefunden. Heute undenkbar!

Wer wie ich noch nie auf Sylt war, erhält einen umfassenden Einblick in den Kosmos und die Entwicklung dieser freizügigen und gewiss einzigartigen Insel. Die Personen sind sehr detailliert gezeichnet, nicht ohne eine ordentliche Portion Humor. Die einzelnen Kapitel sind mit Pelzarten (und einer Lederhose) im Titel überschrieben. Ganz am Schluss fügt Matthiessen eine Auflistung all ihrer Freunde und engsten Weggefährten hinzu.

Titelgemäss zieht sich das Thema Rauchwaren als Leitfaden bis zum Schluss des Romans. Was mich aber ein wenig gestört hat, waren die weitschweifigen Auslassungen über alles, was Pelze betrifft. Zweifellos hat Matthiessen ein immenses Wissen über die Materie ansammeln können und legt es auch ausführlich dar. Doch ob das so viele Leser interessiert? Im Verein mit dem fast vollständigen Fehlen von Dialogen geben diese Lehrgänge dem Roman etwas Sachbuchartiges. Ich hatte Mühe, aufmerksam zu bleiben und nicht ins Querlesen zu verfallen.