Von Verlust, Verlassenheit und Verwandtschaft: Über die Suche nach der eigenen Herkunft

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laleli Avatar

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Zehn Jahre nach dem Tod von Wolfgang Herrndorf, dessen 2010 erschienener Jugendroman "Tschick" ein vielfach preisgekrönter Bestseller wurde, legt Elena Fischer mit "Paradise Garden" ein Werk vor, das ebenso genial ist und einige Parallelen aufweist, letztlich aber doch frisch, neu und anders daher kommt.

Die 14-jährige Billie und ihre aus Ungarn stammende Mutter Marika leben in prekären Verhältnissen in einem Hochhaus am Rande einer deutschen Stadt. Andere Familienangehörige gibt es nicht, über den Vater möchte die Mutter nicht sprechen.
Marika verdient mit ihren Jobs gerade so viel Geld, dass die beiden über die Runden kommen und doch ist die Geldnot irgendwie nie ein wirkliches Problem: Mutter und Tochter haben sich gegenseitig und leben mit viel Fantasie, kleinen Freuden und großen Träumen eigentlich ein glückliches Leben. Dass sie ein bisschen verrückt sind, haben sie mit einigen Nachbarn und Nachbarinnen im Hochhaus gemeinsam. Man kennt die Probleme und Macken der anderen und hilft sich gegenseitig.

Das ändert sich, als plötzlich Billies ungarische Großmutter vor der Tür steht. Zu ihr hat Marika an sich gar kein gutes Verhältnis, doch nun benötigt die scheinbar schwer Erkrankte medizinische Hilfe und nistet sich im Haushalt der beiden ein. Das geht nicht lange gut und endet in einer Katastrophe.

In der Folge beschließt Billie, die sich vollkommen verlassen fühlt, ihren Vater und damit ihre eigene Geschichte suchen zu wollen und fährt mit dem alten Nissan ihrer Mutter alleine los.

Tatsächlich - soviel sei verraten - wird Billie am Ende wirklich fündig, doch auf ganz andere Weise als erwartet.

Einige Element von "Paradise Garden" erinnern schon an den "Tschick":
So ist die Heldin Billie für ihr Alter erstaunlich reif und hellsichtig. Nicht im Sinne eines braven Mädchens, denn sie raucht und klaut schon mal und hat auch ansonsten schon einiges erlebt. Aber durch ihre Einfühlsamkeit, Ehrlichkeit und Toleranz sowie ihre genaue Beobachtungsgabe wächst sie den Leser:innen schon nach den ersten Seiten ans Herz.
Auch die Suche nach dem Vater, die als eine Art "Roadmovie" gestaltet und in Teilen leicht fantastisch angehaucht ist, hat Ähnlichkeiten zu Herrndorfs Roman.

Jedoch wirft Paradise Garden noch andere Fragen auf: Was ist Familie, welche Bedeutung hat unsere Herkunft? Was darf man Kindern verschweigen und was sollten sie wissen? Wie können wir unseren Eltern vergeben, wenn wir finden, dass sie sich falsch verhalten haben? Und was brauchen wir im Leben, um glücklich zu sein?

Ich habe Paradise Garden an einem einzigen langen Nachmittag verschlungen und - ich gebe es zu - mir am Ende ein Tränchen aus dem Augenwinkel gewischt. Fernab von allem Kitsch und falscher Gefühligkeit hat sich Elena Fischer mit diesem Roman und seiner wunderbaren Heldin direkt in mein Herz geschrieben.
Neben der Tragödie und großen Gefühlen kommen hier auch Leichtigkeit und Heiterkeit nicht zu kurz.

Ganz große Empfehlung für erwachsene und jugendliche Leser:innen: Kaufen! Lesen! Verschenken!