Ich bin ein Libertin
Peggy Guggenheim, der Name verbindet sich bei mir mit den drei Sehnsuchtsorten New York, Venedig und Bilbao, mit den Guggenheim-Museen, mit der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts. Zuletzt gelesen habe ich über sie bei Uwe Wittstock, der in „Marseille 1940“ ihre Flucht aus Frankreich vor den Nazis beschreibt und ihr Kennenlernen mit Max Ernst, ihrem späteren Ehemann. Beides wird in diesem Buch nicht thematisiert.
Die amerikanische Schriftstellerin Rebecca Godfrey hatte viele Jahre zu diesem Buch über Peggy Guggenheim recherchiert und es bereits zu rund zwei Dritteln fertiggestellt, als sie 2022 an Krebs starb. Leslie Jamison, ihre Freundin, und einige andere haben ihr Werk zu Ende geführt. Das ist sehr berührend, mit diesem Roman wurde Rebecca Godfreys Vermächtnis intellektuell und emotional erfüllt.
Der Roman ist in der Ich-Form geschrieben, Peggy erzählt ihre Geschichte. Aber im Gegensatz zur Autobiographie „Ich habe alles gelebt“ geht dieser Roman selektiv vor. Er ist in drei Teile gegliedert, zuerst Kindheit und Jugend, dann das Leben in Paris, die brutale Ehe mit Laurence Vail, der letzte Teil bezieht sich hauptsächlich auf ihre Beziehung zu Samuel Beckett und auf ihre Emanzipation als Galeristin. Das Buch endet 1958, Peggy lebt in Venedig und ist mit sich selbst im Reinen.
Mir hat besonders der erste Teil des Buches sehr gefallen, weil die Beschreibung eines Lebens im goldenen Käfig sehr authentisch und emotional ist. Der Verlust des Vaters, der beim Untergang der Titanic stirbt, ist ein Wendepunkt im Leben der Guggenheims. Peggy wird bis zum Schluss diesen Verlust beklagen. Dass es danach in ihrem Leben weitere Verluste geben wird, lässt sie irgendwann zu dem Schluss kommen „Ich war eine Überlebende.“ Um überleben zu können brauchte sie mehr als das ererbte Geld, wie sie es schaffte, das kann man im Roman beinahe tagebuchartig nachlesen. Ihr Leben lang wird sie damit hadern, dass möglicherweise gerade das Geld ihr die Männer, aber auch Frauen zu Füßen warf. Beinahe ist das ererbte Vermögen verbraucht, als ihre Mutter stirbt und dies ihr die Möglichkeit gibt, ihre erste Galerie in London im Januar 1938 zu eröffnen. Das ist bereits zu einer Zeit, in der Hitler über die deutschen Grenzen hinaus Furcht und Angst verbreitet. Und Juden beginnen zu begreifen, dass sie „einer fremden Rasse“ angehören, wie es bei der BBC übersetzt wird. Dass es nicht mehr lange dauerte bis zu einem Krieg und es tatsächlich auch in Frankreich gefährlich wurde, nicht nur für alle Menschen, besonders für die Juden, sondern auch für die Bilder, erzählt der kurze Rückblick im Epilog.
Peggy, die „Überlebende“, sagt an einer Stelle „Sentimentalität ist Selbstmord.“ Man möchte es ihr glauben, nur mit eisernem Willen und großer ideeller Vorstellungskraft kann einem so ein Lebenswerk gelingen. Rache, Ehre und Triumph, das könnte auch auf ihrem Grabstein stehen.
Ich bewundere diese Frau sehr, die am Ende mit ihren übergroßen, exzentrischen Sonnenbrillen endlich das schaffte, was keinem noch so teuren Chirurgen gelang: Kein Mensch interessierte sich noch für ihre „Kartoffelnase“. Genial. Außerdem hinterließ sie ein unendliches Kunstvermächtnis, das jeden Sammler in den Schatten stellt. Dass für sie nicht das Schrille, sondern das Feine und Zurückhaltende von besonderem Wert war, davon zeugt das sechzehnte Kapitel „Vogel im Raum“.
Ich habe mir nach der Lektüre ihre Autobiographie sowie den Dokumentarfilm „Peggy Guggenheim – ein Leben für die Kunst“ von 2018 gekauft. Über einige der Protagonisten im Roman gibt es ausführliche und interessante Beiträge im Internet. Auf diese Weise habe ich z. B. auch über die Anarchistin Emma Goldman gelesen, die von Peggy sehr unterstützt wurde. Bei Emma hatte ich dann auch endlich einmal das Gefühl, dass sie zu ihrer Gönnerin mehr als das Geld zog, die Freundschaft der beiden gehört zu den wundervollen Erfahrungen aus dem Roman.
Das Nachwort gibt einen Einblick in die mühevolle Arbeit, ein fremdes Buch zu vollenden. Die Danksagungen, die der Ehemann von Rebecca Godfrey, Herb Willson, und die Agentin Christy Fletcher schrieben, zeigen nicht nur die Mühe mit dem Buch, sondern auch die Leerstelle, die die Ehefrau, Mutter, Freundin und Kollegin hinterlässt.
Das farbige Cover gefällt mir sehr gut, es wird auf jedem Ladentisch auffallen. Mich erinnert es unweigerlich an die Künstler der Moderne, an Farben und Formen von Max Ernst oder Picasso. Genauso gut könnte es von ihrer Tochter Pegeen sein, die das Malen sehr liebte. Jenny Offills feministische Eloge auf dem Cover hätte ich nicht unbedingt benötigt, bei anderen englischen Buchausgaben (auch auf amazon.de) gibt es zusätzlich noch einen kurzen Text von Gary Shteyngart, den man mit „elegant, sinnlich und nachdenklich“ übersetzen könnte. Das entspricht schon eher meiner Empfindung für dieses Buch.
Zum Schluss: Ein wenig verwundert war ich über diesen Text im Impressum: „Alle Figuren in diesem Roman sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten zu realen Personen, lebend oder tot, sind rein zufällig.“ Diese Aussage stimmt nicht.
Fazit: Biografisch-fiktiver Roman über eine amerikanische Millionenerbin, die weit mehr zu Stande brachte, als nur das ererbte Geld wieder auszugeben. Peggy Guggenheim ist ein Freigeist im besten Sinne, eine bemerkenswerte Frau, mit einer noch bemerkenswerteren Lebensgeschichte. Gut lesbar, sehr zu empfehlen.
Die amerikanische Schriftstellerin Rebecca Godfrey hatte viele Jahre zu diesem Buch über Peggy Guggenheim recherchiert und es bereits zu rund zwei Dritteln fertiggestellt, als sie 2022 an Krebs starb. Leslie Jamison, ihre Freundin, und einige andere haben ihr Werk zu Ende geführt. Das ist sehr berührend, mit diesem Roman wurde Rebecca Godfreys Vermächtnis intellektuell und emotional erfüllt.
Der Roman ist in der Ich-Form geschrieben, Peggy erzählt ihre Geschichte. Aber im Gegensatz zur Autobiographie „Ich habe alles gelebt“ geht dieser Roman selektiv vor. Er ist in drei Teile gegliedert, zuerst Kindheit und Jugend, dann das Leben in Paris, die brutale Ehe mit Laurence Vail, der letzte Teil bezieht sich hauptsächlich auf ihre Beziehung zu Samuel Beckett und auf ihre Emanzipation als Galeristin. Das Buch endet 1958, Peggy lebt in Venedig und ist mit sich selbst im Reinen.
Mir hat besonders der erste Teil des Buches sehr gefallen, weil die Beschreibung eines Lebens im goldenen Käfig sehr authentisch und emotional ist. Der Verlust des Vaters, der beim Untergang der Titanic stirbt, ist ein Wendepunkt im Leben der Guggenheims. Peggy wird bis zum Schluss diesen Verlust beklagen. Dass es danach in ihrem Leben weitere Verluste geben wird, lässt sie irgendwann zu dem Schluss kommen „Ich war eine Überlebende.“ Um überleben zu können brauchte sie mehr als das ererbte Geld, wie sie es schaffte, das kann man im Roman beinahe tagebuchartig nachlesen. Ihr Leben lang wird sie damit hadern, dass möglicherweise gerade das Geld ihr die Männer, aber auch Frauen zu Füßen warf. Beinahe ist das ererbte Vermögen verbraucht, als ihre Mutter stirbt und dies ihr die Möglichkeit gibt, ihre erste Galerie in London im Januar 1938 zu eröffnen. Das ist bereits zu einer Zeit, in der Hitler über die deutschen Grenzen hinaus Furcht und Angst verbreitet. Und Juden beginnen zu begreifen, dass sie „einer fremden Rasse“ angehören, wie es bei der BBC übersetzt wird. Dass es nicht mehr lange dauerte bis zu einem Krieg und es tatsächlich auch in Frankreich gefährlich wurde, nicht nur für alle Menschen, besonders für die Juden, sondern auch für die Bilder, erzählt der kurze Rückblick im Epilog.
Peggy, die „Überlebende“, sagt an einer Stelle „Sentimentalität ist Selbstmord.“ Man möchte es ihr glauben, nur mit eisernem Willen und großer ideeller Vorstellungskraft kann einem so ein Lebenswerk gelingen. Rache, Ehre und Triumph, das könnte auch auf ihrem Grabstein stehen.
Ich bewundere diese Frau sehr, die am Ende mit ihren übergroßen, exzentrischen Sonnenbrillen endlich das schaffte, was keinem noch so teuren Chirurgen gelang: Kein Mensch interessierte sich noch für ihre „Kartoffelnase“. Genial. Außerdem hinterließ sie ein unendliches Kunstvermächtnis, das jeden Sammler in den Schatten stellt. Dass für sie nicht das Schrille, sondern das Feine und Zurückhaltende von besonderem Wert war, davon zeugt das sechzehnte Kapitel „Vogel im Raum“.
Ich habe mir nach der Lektüre ihre Autobiographie sowie den Dokumentarfilm „Peggy Guggenheim – ein Leben für die Kunst“ von 2018 gekauft. Über einige der Protagonisten im Roman gibt es ausführliche und interessante Beiträge im Internet. Auf diese Weise habe ich z. B. auch über die Anarchistin Emma Goldman gelesen, die von Peggy sehr unterstützt wurde. Bei Emma hatte ich dann auch endlich einmal das Gefühl, dass sie zu ihrer Gönnerin mehr als das Geld zog, die Freundschaft der beiden gehört zu den wundervollen Erfahrungen aus dem Roman.
Das Nachwort gibt einen Einblick in die mühevolle Arbeit, ein fremdes Buch zu vollenden. Die Danksagungen, die der Ehemann von Rebecca Godfrey, Herb Willson, und die Agentin Christy Fletcher schrieben, zeigen nicht nur die Mühe mit dem Buch, sondern auch die Leerstelle, die die Ehefrau, Mutter, Freundin und Kollegin hinterlässt.
Das farbige Cover gefällt mir sehr gut, es wird auf jedem Ladentisch auffallen. Mich erinnert es unweigerlich an die Künstler der Moderne, an Farben und Formen von Max Ernst oder Picasso. Genauso gut könnte es von ihrer Tochter Pegeen sein, die das Malen sehr liebte. Jenny Offills feministische Eloge auf dem Cover hätte ich nicht unbedingt benötigt, bei anderen englischen Buchausgaben (auch auf amazon.de) gibt es zusätzlich noch einen kurzen Text von Gary Shteyngart, den man mit „elegant, sinnlich und nachdenklich“ übersetzen könnte. Das entspricht schon eher meiner Empfindung für dieses Buch.
Zum Schluss: Ein wenig verwundert war ich über diesen Text im Impressum: „Alle Figuren in diesem Roman sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten zu realen Personen, lebend oder tot, sind rein zufällig.“ Diese Aussage stimmt nicht.
Fazit: Biografisch-fiktiver Roman über eine amerikanische Millionenerbin, die weit mehr zu Stande brachte, als nur das ererbte Geld wieder auszugeben. Peggy Guggenheim ist ein Freigeist im besten Sinne, eine bemerkenswerte Frau, mit einer noch bemerkenswerteren Lebensgeschichte. Gut lesbar, sehr zu empfehlen.