… einer von den Denk-Thrillern

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aennie Avatar

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Zoe und ihr Stiefbruder Lucas geben ein Klavierkonzert. Für Zoe soll es der letzte, der endgültige Schritt in ein neues Leben sein, von dem einige Menschen ihres unmittelbaren Umfeldes gar nicht wissen, dass sie ihn begeht. Vor einigen Jahren verschuldete Zoe im Alter von 14 Jahren einen Autounfall, bei dem drei Teenager starben. Sie überlebte und hat eine Jugendstrafe verbüßt. Gemeinsam mit ihrer Mutter Maria hat Zoe ihr altes Zuhause in Devon und ihre Vergangenheit hinter sich gelassen. Maria ist mittlerweile mit IT-Spezialist Chris verheiratet, hat mit ihm ein weiteres Kind bekommen und lebt ein vollständig anderes Leben in Bristol, in der Nähe ihrer Schwester Tessa und ihrem Mann Richard. Weil die Welt immer kleiner ist, als man denkt, taucht bei Zoes „Comeback“ ein Schatten der Vergangenheit auf, vollkommen paralysiert muss sie das Konzert abbrechen und kehrt mit ihrer Mutter nach Hause zurück, verunsichert und mit der Gewissheit, dass sie beide nun ihrem zweiten Leben, das erste erklären müssen…

Aus dieser Ausgangssituation entwickelt die Autorin nun in kurzen knappen Kapiteln aus Sicht von vor allem Zoe und Tessa, als sehr interessanten „Sidekick“ Anwalt Sam im ersten Teil des Buches die Geschehnisse sowohl des alten Lebens als auch der Stunden nach dem Konzert, der in einem Unglücksfall gipfelt und des frühen nächsten Morgens. Der zweite Teil schreitet chronologisch voran und beschreibt wiederum aus Perspektiven unterschiedlicher Erzähler den nächsten Tag. Der Leser erfährt dabei sehr viel über das Innenleben der Protagonisten, und doch geht in meinen Augen nie das große Ganze verloren, es gibt keine störenden Wiederholungen oder Längen. Einen wirklichen Twist gibt es am Ende in meinen Augen nicht, nur eine Entscheidung, die eben gewisse Auswirkungen hat.

„Perfect Girl“ ist ein unblutiger Thriller. Keine grausamen Verbrechen, kein soziopathischer Serienkiller, keine Ermittlungsarbeit, keine atemlose Action - nichts von alledem. Die Handlung umfasst insgesamt nur 24 Stunden (Epilog ausgenommen).
Dabei habe ich das Buch stets als hochspannend empfunden, unterstützt durch die Gliederung in viele kurze bis sehr kurze Kapitel aus ständig wechselnder Perspektive, nicht aufgebläht, sondern unheimlich informationsreich und ungemein fesselnd.

Selten habe ich über einen Thriller, bzw. über sein Ende so lange nachdenken müssen. Ich stelle mir immer wieder verschiedenste Fragen, angefangen von der tatsächlichen Wahrscheinlichkeit, die jemals bestand, das „zweite Leben“ zu führen und den entscheidendsten Protagonisten des Umfeldes das „erste Leben“ zu verschweigen. Welche Chance besteht, das dritte Leben zu führen, wenn es auf mit einer Lüge beginnt, von der (zu) viele Menschen wissen? Gipfelnd selbstverständlich in der fundamentalen Frage des Endes: ist das gerecht? Was ist falsch und was richtig? Kann man etwas Grundfalsches tun, mit der Begründung Schaden von anderen abzuwehren und dafür jemanden einem Schicksal ausliefern, dass er in dieser Härte nicht verdient hat, obwohl er selbstverständlich nicht „“der Gute ist? An dieser Frage kaue ich seit Stunden herum, und letztendlich muss sie jeder Leser für sich entscheiden. Mit meinem Verständnis von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit kommt es nicht überein – und zum Glück ist das für das Buch vollkommen unerheblich. Alleine die Tatsache, dass die Autorin es schafft, (einen Teil) ihrer Leserschaft diese Gewissenfrage mit auf den Weg zu geben, ist in meinen Augen beeindruckend.
Klare Leseempfehlung!