Los desaparecidos

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theresia626 Avatar

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„Manche Dinge kann der Verstand allein nicht fassen. Also hör, wenn Du kannst, mit deinem ganzen Sinn zu. Die Geschichte drängt hervor, verlangt, erzählt zu werden, hier, jetzt…“ (S. 11) In Carolina De Robertis neuem Roman „Perla“ geht es um die Gräueltaten der Militärdiktatur, die in Argentinien von 1976 bis 1983 herrschte, wobei die personelle Zusammensetzung der Regierung mehrfach wechselte. Der Geist oder ungeladene Besucher oder wie auch immer man das Wesen nennen mag, das am zweiten März 2011 in Perlas Wohnzimmer auftaucht, ist als eine Stimme der Tausenden zu verstehen, die gefoltert wurden, irgendwann verschwanden und später tot im Wasser trieben. Die Geschichte des nassen Besuchers erzählt die Autorin in Rückblenden, Perla hingegen tritt als Ich-Erzählerin auf. Warum Er, dieser triefende Zombie, gerade bei Perla auftaucht, das scheint eng mit der Vergangenheit ihres Vaters, einem Marineoffizier, zusammen zu hängen. Langsam erinnert Er sich daran, wie alles begann. „Der Tag, an dem die schwarzen Stiefel kamen, war ein schöner Tag, …“ (S. 27). Perla wird sich durch ihn ihrer Herkunft und Vergangenheit stellen müssen. Ihre Tante Mónica ist gleichfalls fortgegangen, an einen unbekannten Ort und niemand spricht mehr über sie.
Perla, die sich gegen den Willen ihres Vaters für ein Studium der Psychologie entscheidet, wächst wohlbehütet in Buenos Aires auf. Ihre Mutter ist wunderschön und unnahbar, ihr Vater ein starker strenger Mann, der niemals die Hand gegen Perla erhebt. Auch nicht, als sie als Zwölfjährige eine Geschichte schreibt, …“in der die ganze Schar der Dreißigtausend schlaflos wartete, gefangen in einer geheimen Dimension.“ (S. 39) In ihrer Geschichte lebten die Dreißigtausend dichtgedrängt in ihren neuen Häusern und wollten denen, die sie zurückgelassen hatten mitteilen, was passiert war. Der einzige Mensch, der Perla je verstanden hat, ist ihr Freund Gabriel, von dem sie sich gerade getrennt hat. Hat Gabriel in der Vergangenheit ihres Vaters Dinge entdeckt, die sie für unmöglich hielt, und zerbrach daran ihre Beziehung?
Der Debütroman von Carolina De Robertis „Die unsichtbaren Stimmen“ ist eine fesselnde, voller poetischer Kraft erzählte Familiensaga über die Geschichte dreier Frauen in Montevideo. „Perla“ ist gleichfalls außergewöhnlich und zeichnet sich durch sprachliche Schönheit aus. Die Leseprobe ist nicht einfach zu lesen, dafür aber sehr interessant aufgebaut. Die Autorin hält sich in ihrem Roman an die geschichtlichen Fakten. So wurde der damalige Juntachef Jorge Videla, der über das Land mit absoluter Befehlsgewalt herrschte, erst voriges Jahr zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ich freue mich auf ein interessantes, lesenswertes Buch.