Ein leiser Roman, der wenig erzählt

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Siân Hughes’ Perlen beginnt mit einer starken Prämisse: Ein achtjähriges Mädchen wird Zeugin des plötzlichen Verschwindens ihrer Mutter, ein Verlust, der wie ein Echo durch ihr gesamtes weiteres Leben hallt. Marianne bleibt mit ihrem kleinen Bruder und dem emotional überforderten Vater zurück. Was folgt, ist eine Erzählung über Erinnerung, Trauer und die Sehnsucht nach Antworten – und doch verliert sich der Roman streckenweise in der eigenen Zartheit.

Hughes schreibt leise, mit Bedacht, fast meditativ – und genau darin liegt sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Buchs. Die Sprache ist klar und poetisch, viele Passagen haben eine beinahe lyrische Qualität. Besonders gelungen ist, wie Marianne sich die Welt über Gerüche, Märchen und kleine Details der Vergangenheit erschließt. Dabei funktioniert die Erzählung weniger über Handlung als über Stimmung. Doch diese Entscheidung führt auch dazu, dass der Roman stellenweise fast stehen bleibt. Die Erinnerungsfragmente wirken manchmal repetitiv, der Erzählfluss stockt – und die eigentliche Frage, warum die Mutter gegangen ist, verliert an Schärfe.

Einige der literarischen Bezüge, insbesondere zur mittelalterlichen Dichtung („Pearl“), geben dem Roman Tiefe, aber sie bleiben für viele Leserinnen eher schwer zugänglich. Wer diese Kontexte nicht kennt, wird möglicherweise einige symbolische Ebenen übersehen. Auch Mariannes psychische Entwicklung wird nur angedeutet – ihre Selbstverletzung, das Schwänzen der Schule, ihre Isolation – vieles davon wird beschrieben, ohne dass es wirklich greifbar wird. Als Leser fühlt man sich dadurch manchmal außen vor, als würde man an einer verschlossenen Tür lauschen.

Spannend ist hingegen, wie sich die Erzählung verschiebt, als Marianne selbst Mutter wird. Erst dann beginnt eine zaghafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Das mag realistisch sein – denn nicht jeder Verlust lässt sich erklären –, aber es hinterlässt auch eine gewisse Unzufriedenheit. Besonders da der Roman sich emotional viel zumutet, aber narrativ eher zurückhaltend bleibt.

Perlen ist ein sensibles, literarisch feinfühliges Debüt, das in seiner Melancholie berührt – aber auch Geduld erfordert. Für Leser, die klare Auflösungen oder eine treibende Handlung erwarten, dürfte der Roman trotz seines zarten Tons eher frustrierend wirken.