Verschwiegene Familiengeheimnisse

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Der Roman beginnt Anfang der 1990er Jahre, die Mauer ist gefallen und so wird einiges einfacher im Leben der Menschen, die in Ost und West Verwandte haben. Die Hauptperson Gwen hat eine weit verzweigte Familie, deutsche Wurzeln, jüdische Wurzeln, sie lebt in London und auch ihr alter Onkel Theo, zu dem sie eine liebevolle Beziehung hat, ist in der Nähe, in Oxford. Durch einen Anruf ihrer Tante Lily und die Einladung zu einer Reise nach Berlin und in die „alte Heimat“ in Polen beginnt Gwen erstmals, sich intensiv mit der Familiengeschichte zu beschäftigen.
Gwens Mutter Marga ist lange verstorben, sie kann nicht mehr befragt werden. So beginnt Gwen auf eigene Faust, in ihrer Familiengeschichte zu graben, dabei taucht auch Ella auf, die „Ziehmutter“ von Marga. Und mit Ella viele Briefe, Erinnerungen und Ungereimtheiten. Ellas Geschichte bildet im Roman einen ganz eigenen Erzählstrang, der aber immer wieder zu Gwens Familie führt.
Gwen hat das Gefühl, es gibt zu viele Geheimnisse, zu viel Schuld und Scham, aber sie sucht immer weiter. Sie begibt sich tatsächlich auf die Reise nach Ostberlin und nach Polen gemeinsam mit ihrer Tante Lily. Zum Glück fährt auch noch Laura, Gwens Freundin mit, so dass sich ab und an regelrechte Urlaubsstimmung ergibt. Aber es wird eine Reise in die Vergangenheit mit einigen aufregenden Erlebnissen und Überraschungen. Gwen wird am Ende um einiges klüger sein und manches in einem anderen Licht betrachten.
Wie in vielen Geschichten dieser Art – das trifft nicht nur auf Literatur, sondern auch auf das reale Leben zu – ist das Verschweigen bestimmter Ereignisse ein ganz zentraler Punkt. Daraus entwickeln sich Fehleinschätzungen, Feindseligkeiten, Ängste, Depressionen und manchmal sogar Suizide. Auch in diesem Roman ist jeder der Protagonisten, egal ob noch lebend oder schon verstorben, mit diesem Problem des Verschweigens belastet.
Mir hat im Hörbuch ein gezeichneter Stammbaum der Familie gefehlt (im Buch wäre er natürlich auch passend), beim Hören war es teilweise schwierig, die Verästelungen nachzuvollziehen und die vielen Personen einzuordnen. Ich habe deshalb vom Hörbuch zwischenzeitlich zum Buch gewechselt, gerade am Anfang waren dadurch die familiären Verbindungen besser zu verstehen. Im Laufe der Geschichte wurde es dann einfacher, weil die Protagonisten dem Leser dann ja vertrauter waren.
Elisabeth Günther liest das lange Hörbuch ganz wunderbar, auch die unterschiedlichen Charaktere werden von ihr sehr lebensecht dargestellt, das ist eine tolle Leistung. Insbesondere die Großmutter Ilsa, mit einem herrlich überheblichen österreichischen Charme gesegnet, ist ein Vergnügen.
Mir hat dieses Buch sehr gefallen, ich empfehle es gern weiter, auch wenn es sich an manchen Stellen eher wie ein Unterhaltungsroman liest, sind die familiengeschichtlichen und historischen Teile sehr einfühlsam und nachvollziehbar. Einzig die Wahl des Titels hat mich doch etwas verwirrt, erst am Ende wird sie verständlich, aber zum Cover hat er nicht gepasst.