Deutsche True Crime - Reportage

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Hamburg, Gegenwart: Gabriel ist neu in der beliebten Hansestadt Hamburg, als er Fabio kennenlernt und kurz darauf vermisst wird. Isabella, Gabriels Schwester, setzt alle Hebel in Bewegung, um ihren Bruder zu finden. Doch die Polizei lehnt Ermittlungen ab, schließlich ist Gabriel erwachsen und kann tun und lassen, was er will, ohne jemandem in seinem privaten oder beruflichen Umfeld darüber zu informieren.

Zeitgleich versucht Fabio unauffällig seinen Alltag zu bestreiten. Er ist als Pfleger in einem Krankenhaus tätig, lädt Männer zum Couchsurfing in seine Wohnung, schreibt seiner in Italien lebenden Mutter, dass bei ihm die Sonne scheine und er keine Sorgen habe. Über vier Monate läuft das Versteckspiel, dann betreten zwei Polizeibeamte Fabios Gästezimmer. Ein beißender Geruch strömt ihnen entgegen. Der Fußboden ist aufgeweicht, Maden krabbeln hervor. Unter einer Matratze liegt eine Leiche.

Was ist in der verhängnisvollen Nacht im September 2019 geschehen, warum musste Gabriel sterben?


Durch das Verbrechen-Magazin der Zeit (Nr. 34) bin ich auf den erschütternden Kriminalfall aufmerksam geworden. Der Kriminalreporter Alexander Rupflin (selbst Hamburger) recherchierte zu diesem Fall, führte Interviews mit Isabella und mit Fabio, reiste sogar nach Brasilien, um die Mutter des Opfers zu treffen. Der nun veröffentlichte Roman stellt eine literarische Reportage dar. Rupflin erzählt aus subjektiver Perspektive – der Reporter als teilnehmender Beobachter: „Doch Erzählungen von Tätern bleiben tiefer in der Psyche hängen als jedes Foto. (…) Während Fotografien von außen stammen, wird die Erzählung zu etwas Innerlichem, und die Bilder, die dabei im Kopf entstehen, werden zu meinen eigenen Bildern (…), die sich einbrennen und durchaus so etwas wie Brandnarben hinterlassen können“(S. 156). Rupflin rekonstruiert den Fall zutiefst menschlich, immer auf der Suche nach der Wahrheit hinter den Geschichten. Besonders die Stimmen der Angehörigen haben mich berührt, bei Zeitschriften-Reportagen kommt diese leider oft zu kurz.

Da ich durch das Kriminalmagazin sowohl den Schreibstil kenne als auch den Artikel, sind die Geschehnisse im Roman natürlich wenig überraschend für mich. Erstlesende können jedoch mit ein paar Überraschungsmomenten rechnen. Der literarische Reportstil gefällt mir, das Lesen ist angenehm. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass dies nicht jedem und jeder zusagt. Wer sich unsicher ist, nimmt sich lieber mal eine Ausgabe des Magazins und kann dabei auch etwas sparen. Den Mehrwert eines Hardcovers sehe ich bei diesem Buch nicht, ein Taschenbuch wäre praktischer.

Ich möchte den Roman für KennerInnen von Kriminalreportagen und True-Crime-Podcasts empfehlen. Wer einen Thriller sucht, sollte bitte zu einem anderen Buch greifen.

PROTOKOLL EINES VERSCHWINDENS| Alexander Rupflin| HarperCollins| 2025| 287 Seiten | 24,00€