Zwischen Voyeurismus und Empathie - Die Erzählung eines spektakulären Kriminalfalls

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annajo Avatar

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Gabriel ist seiner Schwester Isabella nach Deutschland gefolgt um den Gefahren und der Perspektivlosigkeit der Favela in Rio de Janeiro zu entkommen. Der junge Mann findet Arbeit in einer IT-Firma. Anschluss sucht er in Hamburgs Partyszene, wo er dem Krankenpfleger Fabio begegnet. Kurz darauf erhält Isabella einen Anruf, dass ihr Bruder vermisst wird.

Der Autor hat diesen wahren Fall intensiv verfolgt und journalistisch begleitet. Hier werden verschiedene Perspektiven beleuchtet und schon von Anfang an wenig offen gelassen. Es wird relativ schnell klar, was passiert ist, der Fokus dieses Buchs liegt deutlich stärker darauf, die einzelnen Geschichte zu erzählen. Isabella sucht verzweifelt nach ihrem Bruder, wird von den deutschen Behörden jedoch ziemlich allein gelassen. Es gibt auch Einblicke in die Herkunft von Gabriel. Parallel wird Fabios Geschichte erzählt, der ein Zimmer seiner Wohnung untervermietet und regelmäßig Sex mit seinen Mietern hat, notfalls unter Zuhilfenahme von Betäubung. Gleichzeitig geht er mit der netten alten Dame von nebenan zu kulturellen Veranstaltungen, während seit Monaten eine Leiche in seiner Wohnung liegt. Viele Szenen sind sehr explizit und lassen ein "Wegsehen" kaum zu. Hier habe ich mich gefragt, ob diese Ausführlichkeit wirklich immer nötig war, da es durchaus voyeuristisch wirkte. Der Autor führt später auch Interviews mit Fabio, in denen gewisse Persönlichkeitszüge von Fabio durchscheinen, die jedoch wenig eingeordnet werden. Es geht aber auch darum, wie es sein kann, dass über Monate hinweg eine Leiche in einer Wohnung liegt und niemand es bemerkt bzw. meldet. Demgegenüber stehen die Emotionen von Gabriels Familie. Der Autor räumt hier der Familie und ihrer Trauer mehr Platz ein und versucht, den Fokus stärker auf das Opfer und auch die weiteren Opfer von Fabio zu legen. Das gelingt meiner Meinung nach nicht immer, weil der Kriminalfall doch zu spektakulär aufgemacht wird und die Details zu stark ausgeschmückt werden. Auch kommen die Enden der Erzählstränge am Ende des Buchs nicht so recht zusammen und es bleibt unklar, mit welcher Intention jenseits des Erzählens eines aktuellen spektakulären Kriminalfalls diese Geschichte erzählt wird.

Für Fans von True Crime ist dies meiner Meinung nach ein gutes und fesselndes Buch. Der Autor hält sich wenig mit Nebensächlichkeiten auf und ist nah an den beteiligten Personen dran. Dennoch konnte ich ein gewisses Unwohlsein aufgrund der Skrupellosigkeit des Täters, aber auch der direkten und schonungslosen Schilderung der Details nicht abschütteln während die große Nähe zu den Angehörigen gleichzeitig ein Gefühl von Betroffenheit hinterlässt.