Spannende Vision einer nahen Zukunft

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REZENSION – Mit seinem zweiten dystopischen Zukunftsroman „Qube“ sprengt der deutsche Schriftsteller Tom Hillenbrand (48) nicht nur die literarischen Dimensionen seiner früheren Werke, kannten viele Leser ihn doch vielleicht nur durch seine kulinarischen Krimis um den Luxemburger Koch und Privatermittler Xavier Kieffer, sondern zugleich die räumlichen und zeitlichen Grenzen menschlicher Existenz, die in seinem ersten SciFi-Roman „Hologrammatica“ (2018) noch gewahrt schienen.
Der Kampf gegen die Klimakrise ist trotz Einsatzes von künstlicher Intelligenz längst verloren, die vergleichsweise kühlen Regionen Grönlands, Kanadas und Sibiriens sind inzwischen bevorzugte Urlaubsgebiete der auf zwei Milliarden dezimierten Erdbevölkerung. Menschen lassen ihr Gehirn digitalisieren, in künstlichen Körpern (Gefäßen) hochladen und streben nach ewigem Leben. Rohstoffe werden seit Jahren schon auf fernen Planeten und Asteroiden abgebaut. Doch hat der Mensch die schon einmal (2048) verlorene Kontrolle über die Künstliche Intelligenz KI tatsächlich beim zweiten Turing-Zwischenfall 2088 zurückgewonnen?
Hillenbrands zweiter Roman „Qube“ aus der SciFi-Reihe setzt drei Jahre nach Handlungsende von „Hologrammatica“ ein. Der Investigativjournalist Calvary Doyle, der in dieser Frage recherchiert, wird 2091 in London auf offener Straße niedergeschossen. Er besaß anscheinend beunruhigende Informationen über bisher unbekannte Folgen des zweiten Turing-Zwischenfalls. Die auf KI-Gefahrenabwehr spezialisierte UNO-Agentin Fran Bittner, der wir im weiteren Handlungsablauf in galaktische Fernen bis auf die andere Seite unseres Sonnensystems folgen, wird mit der Ermittlung beauftragt.
Wie schon in „Hologrammatica“ entführt uns Hillenbrand wieder in seine dystopische und doch mit dem Jahr 2091 gar nicht so weit entfernte Zukunft, in der unser aktuelles Thema der Klimaerwärmung längst abgehakt ist, Nationen aufgelöst und die UNO als globale und sogar interstellare Sicherheitsbehörde arbeitet. Die Menschen leben mit ihren digitalisierten Hirmen in wechselnden künstlichen Körpern und holographischen Welten. Ein weltweites Holonet lässt uns kaum noch erkennen, was echt und was nur eine Scheinwelt ist.
Auf unvorbereitete Leser ohne technisches Interesse mag Hillenbrands komplexe, in ihren Details so ausgezeichnet erdachte und logisch abgestimmte Zukunftswelt mit ihrer Vielzahl an Fachausdrücken vielleicht zu Beginn der Lektüre wie eine Tsunami-Welle einstürzen. Doch auch wer „Hologrammatica“ nicht kennt und das in „Qube“ im Anhang befindliche Glossar mit Erläuterung der technischen Begriffe zuvor nicht gelesen hat – kaum jemand wird beim Lesen hin- und zurückblättern wollen -, wird sich allmählich in diesen Folgeband, seine erstaunliche Zukunftswelt und die einzelnen Charaktere einfinden und von der sich mit zunehmender Spannung entwickelnden Handlung gepackt werden.
„Qube“ ist - wie schon zuvor „Hologrammatica“ - kein locker unterhaltender SciFi-Roman, sondern eine auf wissenschaftlichen Fakten basierende, dennoch fiktionale Zukunftsvision um die schon heute zu spürende Angst mancher Menschen vor möglicher Übernahme durch Künstliche Intelligenzen. Dabei mag man stellenweise weniger die scheinbar allmächtige KI als bedrohlich empfinden, sondern vielmehr erschreckt die Vorstellung, dies alles könne noch vor der Jahrhundertwende die Lebenswelt unserer Urenkel sein. „Qube“ ist ein vor allem im zweiten Teil überaus spannender, phantasievoller Zukunftsroman, der plausibel erscheinende Antworten auf Zukunftsfragen gibt, aber auch neue Fragen aufwirft, die Stoff für weitere Hologrammatica-Romane von Tom Hillenbrand bieten.