Zu technikverliebt

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alasca Avatar

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Ein investigativer Journalist, Calvary Doyle, wird niedergeschossen – und zwar, weil er offenbar einer KI (Künstlichen Intelligenz) auf der Spur war. In der Vergangenheit geriet schon einmal eine KI außer Kontrolle – eigentlich zweimal, Ereignisse, die sich Turing I und Turing II nennen, Reverenz vor Alan Turing, dem Vater der Informatik. Die UNANPAI, eine Art Weltpolizei, soll künftige Turing-Zwischenfälle verhindern. Dazu muss sie herausfinden, was Doyle entdeckt hat.

Der Roman entwickelt sich aus 5 Perspektiven. Perspektive 1 ist die der UNANPAI-Agentin Fran Bittner, die sich in ihrem Ermittlungen auf Doyle konzentriert. Die Spur führt ins All – hat sich die immer noch existente KI in der Nachbargalaxie angesiedelt? Oder befindet sie sich immer noch auf der Erde, in einem würfelförmigen Quantencomputer, genannt Qube? Perspektive 2 ist der Inhaber einer Global Company, der glaubt, der Unsterblichkeit in Form eines Computer Codes auf der Spur zu sein. Perspektive 3 ist die einer Profi-Gamerin mit Burnout, die zu einem rätselhaften Contest in der Wüste eingeladen wird, Perspektive 4 ist Doyle, der versucht, seine Amnesie nach dem Schuss zu überwinden, und Strang 5 die mittelalterlich anmutende Geschichte eines Dorfjungen, der als Bote in ein verfeindetes Reich geschickt wird, wobei Anklänge an Ostblock vs. Goldener Westen nicht ganz zufällig sein können.

Wenn einem das sehr komplex vorkommt: Zu Recht. Hillenbrand hat sich eine durchaus überzeugende neue Welt ausgedacht, eine Welt nach der Klimakatastrophe. Mitteleuropa ist versteppt und die Cold Spots in Grönland, Norwegen und Alaska sind zu begehrten Urlaubszielen geworden. In dieser Welt gibt es keine Flächen mehr, die nicht durch Hologramme verfremdet sind, so dass man „Strippergoggles“ braucht, um sie so zu sehen, wie sie wirklich ist. Toll sind Hillenbrands Wortschöpfungen: Body Holiday, Brain Crash, Cogit, Hardlight, Ludorama … am Ende des Buches gibt es ein Glossar dafür. Man merkt, welchen Spaß es ihm macht, mit technischen Konzepten zu jonglieren. Erst fand ich es interessant, aber dann bekam es Längen: Von z. B. Informationstheorie habe ich keine Ahnung und wollte eigentlich auch kein Studium beginnen. Zudem überstrapaziert er die Exotik ein wenig: beim zehnten Körpertausch der Protagonistin wird auch das bald langweilig.

Es hätte sich gelohnt, genauso viel Detail und Phantasie in die Figuren zu stecken: sie bleiben flach und sind bloße Funktionsträger. Keine Konflikte, die über Schwindelgefühle wegen zu häufigen Körpertauschs oder Ärger über das sturzfliegende Gamer-Ranking hinausgehen.

Nun macht man als Leserin ja einiges mit, wenn es am Ende einen Sinn ergibt. Aber erstens: Bei Auflösungen, die da lauten „Alles nur geträumt“, werde ich sauer. Und zweitens: den ganzen Roman lang habe ich mich gefragt, was zum Teufel an dieser KI so gefährlich ist, dass sich ein ganzer Geheimdienst auf ihre Vernichtung spezialisieren muss. Eine schlüssige Begründung habe ich allerdings nirgendwo gefunden. Im Gegenteil fand ich die KI wesentlich vernünftiger als alle menschlichen Protagonisten. Vielleicht ist das die Botschaft? Die Menschheit, auf ewig unbelehrbar? Wenn, kommt sie nicht so richtig rüber. Und ein Roman, dessen Prämisse nicht funktioniert, funktioniert für mich überhaupt nicht. Die ganze Action für nix?

Mein Fazit, positiv: Eine klare Schreibe, kreativ und flüssig zu lesen. Schöne, schlüssig ausgedachte Welten. Negativ: Zu technikverliebt, dadurch Spannungsdurchhänger; logische Lücken; flache Figuren. Das Tempo des Anfangs wird nicht gehalten.

Für Tekkies sicher toll, für weniger Technik-Affine nur bedingt zu empfehlen.