Nichtschwimmerin

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karla kolumna Avatar

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Das Buchcover von "Rattensommer" ist sehr passend und fällt direkt ins Auge: Knallrot und die Freundinnen umschlungen am Schwimmbad (ohne Wasser!). Es deutet an, worum es in dem - eigentlichen Jugendbuch - geht: Um Hitze, im Inneren - aber auch von Außen - um Freundschaft, Sehnsüchte und auch der Gestank ist in Kombination zum Buchtitel quasi greifbar. Juliane Pickel hat einen hervorragenden Schreibstil, sie kann sofort mitreißen und schafft es, etwas zu sagen, ohne es wirklich zu sagen. Sie arbeitet mit vielen Metaphern und bleibt trotzdem modern. Für mich ist "Rattensommer" keine übliche Jugendlektüre: Die Tiefe, die vielen Andeutungen und die Analyse des Geschriebenen erfordern auch irgendwie "Arbeit" von den Lesenden - und trotzdem ist es ein Sommerbuch, dass sich schnell lesen lässt. Eins vorweg: Die Story ist recht unrealistisch, ABER in sich mehr als stimmig und die Charaktere sind sehr gut gestaltet.

Immer wieder frage ich mich: In welchem Verhältnis stehen Lou und Sonny - die Protagonistinnen - wirklich zueinander? Ist es Freundschaft, Liebe, Abhängigkeit, Gewohnheit oder ein bisschen von allem? Das Buch wirkt definitiv nach und es regt dazu an, die Protagonistinnen genauer unter die Lupe zu nehmen: Sonny leidet sehr unter dem Verlust ihrer Mutter mit 11 Jahren. "DER" ist Schuld! Aber war es wirklich so oder ein tragischer Unfall? Sonny macht eine emotionale Entwicklung durch und zweifelt auch an ihrem jahrelangen Hass auf "DEN", Hagen Bender. Denn hasst sie vielleicht auch irgendwie sich und was bedeutet Schuld? Lou ist eigentlich Luise. Aber so sollte eigentlich das erstgeborene Sternenkind heißen - bis es bei der Geburt starb. Und so bekam Lou exakt ein Jahr später diesen Namen, denn sie war nun das Wunder ihrer Eltern, speziell ihrer Mutter. Aber kann sich Lou auch so fühlen oder eher wie eine billige Kopie, die sogar auf jeden Geburtstagskuchen eine weitere Kerze - zum Andenken an ihre verstorbene Schwester - erhält? Weder Name, noch Geburtstag gehören ausschließlich ihr. Und die Liebe ihrer Eltern? Und so klammert sie sich vielleicht zu sehr an Sonny - bis der Bruch kommt. Lou ist nicht nur im wahren Leben angstbehaftete Nichtschwimmerin, sondern sie schwimmt auch in ihrem bisherigen Leben – meist nach den Launen der Anderen. Aber dies ändert sich im Buchverlauf: Lou merkt, dass sie sehr fremdbestimmt ist und sich in viele Abhängigkeiten – besonders auch zu Sonny – begibt. Auch der Gestank des Sommers verändert sich für Lou irgendwann, sie ändert sich. Wagt sie sich (gegen den Strom) zu schwimmen? Auch wenn der Schluss definitiv zu wage ist und mir das missfällt: Absolute Kaufempfehlung! Ein Buch von der Tragik des Lebens, von Mut, Selbstfindung und Erwachsenwerden!