„Alles steht Kopf“- Schwerelos durch die Deutsch-Deutsche Geschichte

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Alles im Roman dreht sich um die Familie Kern, mit den Brüdern Georg (Georg Baselitz) und Günter, sowie Günters Sohn Thorsten Kern, der nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt. Parallel dazu kreist die Erzählung um Jan, geboren zur Wendezeit, und dessen Familiengeschichte. Jan arbeitet im Krankenhaus und lernt dort 'den Alten', Thorsten Kern, kennen. Dieser überreicht Jan einen Karton mit Papieren seines Vaters, Günter Kern. Und so werden wir Lesende eingeführt in eine unglaubliche Geschichte um das Leben der Brüder Kern, beginnend ab der Nachkriegszeit. Deren Auswirkungen bis in die aktuelle Zeit und damit hinein in das Leben Jans reicht. Georg Kern (Georg Baselitz), der Künstler, geht, nachdem er von der Ostberliner Hochschule verwiesen wurde, nach Westberlin. Seinem Bruder Günter gelingt es nicht mehr die DDR rechtzeitig zu verlassen, um Georg zu folgen. Stattdessen erlebt Günter die staatliche Überwachung durch die Stasi und die Infiltration seines Lebens durch informelle Mitarbeitende (IM). Und wie hängt das nun alles mit Jans Leben zusammen?

Jan erlebt die Nachwendezeit, die geprägt ist von schließenden Industriestandorten, dem Verlust der Arbeitsplätze, dem Wegzug der Menschen, der einhergehenden Entsiedelung seines Heimatorts. Seine Familie ist betroffen durch den Alkoholismus und dem späteren Auszug der Mutter und dem innerlichen Rückzug mit dem Schweigen des Vaters und der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Letztendlich hinterfragen sich die Eltern selbst nach ihrer „Lebensleistung“ und suchen nach „ihrer Richtung“. Doch welche Rolle spielte die Stasi im Leben von Jans Eltern?

Die Geschichten der Protagonisten baut sich in losen, zunächst scheinbar unzusammenhängenden Handlungssträngen auf und wird dabei auch plötzlich durch das eine oder andere verstörende, teils erschreckende Bild verzerrt. Der Lesende ist aufgefordert die einzelnen Puzzleteile zusammen zu fügen und erhält im Gegenzug Einblick in eine unglaubliche Geschichte über das Leben zweier Familien, die zunächst scheinbar nichts miteinander zu tun haben, doch deren Schicksal letztendlich untrennbar verwoben ist.

Der literarische Sprachstil vermittelt starke Bilder, teilweise auch nur stichpunktartig eingeschoben, doch immer aussagekräftig – und manchmal auch „schwerelos“ schwebend. Ich finde, Lukas Rietzschel ist mit „Raumfahrer“ ein hervorragendes Buch gelungen, das einen Einblick in das scheinbar alltägliche Leben zweier ehemaliger und aktueller „DDR-Familien“ gewährt. Die Verknüpfung zur realen Geschichte der Brüder Kern ist sehr gut eingeflossen und, ich meine, darin auch die gemalte Schwere der Bilder von Baselitz zu entdecken. Sehr gut und realitätsnah fand ich die Schilderungen zur staatlichen Überwachung der DDR und der perfiden Infiltration der Spitzel in das Privatleben der Menschen.

Fazit: Von mir eine 5-Punkte-Bewertung mit einer absoluten Leseempfehlung!