ganz große literatur, eine gestochen scharfe sprache

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blätterwald Avatar

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Schon sein Debütroman hat mir sehr gut gefallen und mit seinem zweiten Roman „Raumfahrer“ zeigt Rietzschel wieder einmal mehr seine Stärke. Und das ist seine Sprache, sind seine messerscharfen Sätze.
Es ist erstaunlich, wie ein so junger Autor es schafft, seinem Leser zu vermitteln, dass er, der Autor, scheinbar alle Zeiten hier selbst miterlebt hat. Rietzschel fordert seinen Leser, den es gibt viele Handlungsstränge, die miteinander verbunden sind, die aber oft in unterschiedlichen Zeiten spielen. Im Grunde genommen wird die gesamte jüngere deutsche Geschichte vom Kriegsende bis zur Nachwende aufgezeigt. Das finde ich schon beeindruckend. Die Sprachlosigkeit der Kriegsheimkehrer und die Sprachlosigkeit der Nachwendedeutschen im Osten. Das alles wird eingepackt in die Lebensgeschichte des Krankenpflegers Jan, mit einem Hauch von Kunst und Kultur in Form des Georg Baselitz. Und immer im Hintergrund der Staat und die jeweilige Gesellschaftsform.
Wie Rietzschel erzählt, finde ich mehr als beeindruckend. In kurzen, prägnanten Sätzen zeigt er, ohne den Zeigefinder zu erheben. Da wird kein Wort verschwendet, alles ist auf dem Punkt. Und er schafft es, Stimmungen zu erzeugen, die schon beklemmend real sind. Es liest sich so, als ob man in die Zeit der ehemaligen DDR zurückversetzt wird. Und ohne viele Worte weiß der aufmerksame Leser, wovon gerade erzählt wird. So real, wie gerade die Szenen mit dem Fahrschullehrer dargestellt werden, der Unfall seines Sohnes, beeindruckend. Als ob die Stasi selbst beim Lesen mit dabei ist.
Auch die ganzen Beziehungen der Personen untereinander und das Leben der Menschen, ob nach dem Krieg, nach der Wende und viel später. Alles ohne Pathos und Besserwisserei gezeigt und es dem Leser überlassen, was er damit anfängt. Für mich ganz großes Kino.
„Raumfahrer“ ist ein literarisches großes Werk für mich und gleichzeitig auch Geschichtsunterricht. Ich denke mal, dass Leser westlich der Elbe dieses Buch anders lesen werden als diejenigen, welche östlich der Elbe aufgewachsen sind und beide System noch kennen. Und die Figur des Jan ist ein ganz starker Protagonist. Er jammert nicht, er protzt nicht, er lebt sein Leben und macht, was er meint, machen zu müssen in der jeweiligen Situation. Ein stiller Held, wie er sympathischer nicht sein könnte. Man spürt, dass sich Rietzschel Zeit mit seinen Figuren genommen hat und sie nicht nur eindimensional darstellt.
Ein Roman, wie es noch viel mehr von geben sollte.