Keine Hoffnung zwischen dem Gestern und Heute?

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leseratte61 Avatar

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Inhalt:
Jan und seine Eltern sprechen nicht viel über das Heute und erst recht nicht über das Gestern. Erst als Herr Kern auftaucht, kommt das fragile Gleichgewicht der Familie ins Wanken: Welche Beziehung führte Jans Mutter mit dem Vater von Herrn Kern? Und was haben die Kerns mit der Kunst von Georg Baselitz zu tun? Immer weiter arbeitet sich Jan durch das Schweigen mehrerer Generationen, taucht ein in die Geschichte der Baselitz-Brüder, die Geschichte seiner Eltern und begreift, dass die Gegenwart nicht nur aus der eigenen Vergangenheit besteht.

Fazit:
Da ich das Debüt von Lukas Rietschel gelesen habe, war ich natürlich gespannt auf sein neues Werk. Seinen Schreibstil kenne ich schon vom Debüt und so war mir klar, dass ich keine leichte Kost zu lesen bekomme, sondern mich konzentrieren muss, um alle Zusammenhänge zu verstehen.

Zuerst lernte ich Jan kennen, der in einer Kleinstadt lebt, die immer mehr auseinanderfällt. Wo früher Sportanlagen waren gibt es heute einen Supermarkt und das Krankenhaus in dem Jan arbeitet schließt auch bald. Der Leerstand in den Ruinen der DDR wird immer schlimmer und die Hoffnungslosigkeit greift um sich. Jan lebt bei seinem Vater, denn die alkoholabhängige Mutter hat die Familie schon lange verlassen. Eines Tages wird Jan von einem älteren Patienten genötigt, ihn zu besuchen und dort eine Kiste mit Dokumenten in Empfang zu nehmen. Was verbirgt sich in diesen Dokumenten für ein Geheimnis und warum soll Jan es lüften?

Jan will sich mit diesen Dokumenten lieber nicht auseinandersetzen, doch irgendwann siegt die Neugier und er erfährt Dinge aus der Vergangenheit, die er lieber nicht gewusst hätte. Die Handlung spielt in verschiedenen Zeitebenen und mir war am Anfang nicht richtig klar, wo die Reise hingehen wird. Doch nach und nach enthüllt sich die Vergangenheit und es wird immer klarer, wer welche Rolle in dieser gespielt hat. Außer Jans Mutter haben noch weitere Charaktere ein Doppelleben geführt, um diese Kontrollmechanismen der DDR aufrecht zu erhalten. Doch das lest bitte selbst, es lohnt sich.

Ich war wieder einmal überrascht, wie solch ein junger Autor diese schwierigen Themen so gelungen und ansprechend verpackt hat. Dieser nüchterne und schnörkellose Sprachstil konnte mich auch bei diesem Buch wieder fesseln und die Hoffnungslosigkeit und Verlorenheit wurde für mich dadurch realistischer und greifbarer. Trotz der anspruchsvollen Kost flogen die Seiten regelrecht dahin, da ich unbedingt wissen wollte, wie die Vergangenheit des älteren Mannes mit der von Jans Familie zusammenhängt.

Auch in diesem Buch wird die Vergangenheit beleuchtet mit ihren Auswirkungen in die Gegenwart und die Zukunft.
Die Geschichte taucht tief in das Erbe der DDR ein und zeigt an Jans Leben die Lage der Menschen in einem vergessenen Landstrich. Ich ließ mich von dieser Atmosphäre schnell bannen und ich hatte das Gefühl mitten in diesem öden und langsam zerfallenden Landstrich zu sein.

Wieder hat es der Autor geschafft mich sehr nachdenklich zurück zu lassen.

Für alle Liebhaber anspruchsvoller Literatur ist dieses Werk ein absolutes Muss.