Lange Schatten

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aennie Avatar

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Jan ist vollkommen konsterniert, als ihn ein Patient anspricht, Zusammenhänge der beiden Familien andeutet, ihm Unterlagen förmlich aufdrängt, Jans Mutter erwähnt und seine Verwandtschaft zum berühmten Maler Georg Baselitz. Nichts desto trotz gibt er diesem „komischen Kauz“ nach, macht sich auf die Spurensuche, in den Unterlagen, in Deutschbaselitz, dem Heimatort des Malers und mit vorsichtigen Fragen bei seinem Vater. Seine Mutter kann er nicht mehr fragen. Viel bringt er erst einmal nicht in Erfahrung, aber das seinem Vater das Thema unangenehm ist, wird ihm klar, und auch, dass in der Vergangenheit seiner Eltern Dinge vorgefallen sind, die er nicht weiß, ist ihm durchaus seit Jahren bewusst. Doch eine Verbindung nach Deutschbaselitz, zur Familie Kern, so der bürgerliche Name des Malers, war ihm bisher unbekannt.
Der Roman berichtet parallel über Jan, seine Familie und seine Verwunderung über die Ansprache des Patienten namens Thorsten Kern sowie über dessen Familiengeschichte, vor allem die seines Vaters, Günter Kern, dem Bruder des Malers, und deckte langsam Vorgänge der Vergangenheit auf, in Details vermutlich exemplarisch für viele Schicksale in der DDR, aber in ihrer Besonderheit dann wiederum einzigartig und individuell.
Nebenbei bemerkt, bin ich froh, diesmal tatsächlich nicht den Klappentext oder die Beschreibung vorher allzu deutlich gelesen zu haben – er hätte mir nämlich für meinen Geschmack viel zu viel verraten. Natürlich war mir irgendwie klar, dass es eine Verbindung zwischen Jans Familie und der von Torsten Kern geben MUSS, und auch, dass es selbstverständlich irgendwie mit dem politischen System der DDR und der Stasi zusammenhängt, aber en detail geahnt habe ich es nicht und es war für mich einer der sehr guten Momente im Buch als mir klar wurde, wer welche Rolle spielte und wo eine Verquickung stattgefunden hatte.
Was bleibt hängen? Für mich kommt Raumfahrer nicht an Rietzschels ersten Roman heran. Ich mag den Schreibstil, aber der Plot blieb mir hier zu blass. Eindrucksvoll ist die Leere, die der Autor schafft zu vermitteln. Egal, ob das Krankenhaus, in dem Jan (noch) arbeitet, die sich verändernden Wohnsiedlungen oder die Menschen selbst. Er vermittelt ein Gefühl des Vakuums, der immer noch post-Wende-Ära, der immer noch überstrahlenden Vergangenheit eines totalitären Regimes mit für Außenstehenden nicht nachzuvollziehenden Mechanismen. Dinge, die in den Menschen, die sie erlebt haben – und sei sogar nur mittelbar, z.B. durch Eltern und deren Schicksal, für immer zementiert bleiben werden. Dauerhafter als jedes Bauwerk es war. Mit langen Schatten, die bis heute geworfen werden können. Diese Vermittlung von Leere, Luftleere, die den Menschen umgibt – eben den Raumfahrer - ist in meinen Augen das Stärkste an diesem Roman.