Absoluter Pageturner

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Heiligabend und auf allen TV-Sendern läuft die gleiche Sendung: Reality Show. Der Moderator ist ein bekannter Influencer, die Kandidat*innen superreiche Machtmenschen, die lieber im Hintergrund agieren und die heimlichen Regenten Deutschlands sind. In kurzen Imagefilmen wird gezeigt, wie sie ihre Vermögen aufgebaut haben, was sie dafür in Kauf nehmen, kurz: welchen Dreck sie am Stecken haben. Danach dürfen Beschuldigten Stellung beziehen und sich verteidigen. Die Zuschauenden entscheiden dann, ob die Kandidat*innen schuldig sind und welche Strafe sie erhalten. Ganz demokratisch also. Dass die „Mitspielenden“ nicht ganz freiwillig mitmachen, ist den meisten Zuschauenden bewusst, aber die Genugtuung, auch mal am längeren Hebel zu sitzen, obsiegt und viele machen mit, denn es gibt natürlich auch was zu gewinnen. Das ist der eine Teil des Roman, aber da ist auch die Geschichte derjenigen, die die Reality Show kreiert haben, welche Intention dahinter steckt und was sie eigentlich bezwecken wollen. Und da ist der Blickwinkel der Zuschauenden, also der Entscheidenden, was nicht minder spannend ist. Alles fügt sich zusammen und am Ende gibt es ein imposantes und nicht vorhersehbares Finale.

Anne Freytag hat mich beeindruckt. Reality Show könnte sofort als Film oder Serie produziert werden, nicht die Show, sondern der Roman mit seinen vielen verschiedenen Szenen, die völlig im Einklang sind und sich zu einem gelungenen Ganzen zusammensetzen. Man merkt, was sie inspiriert hat, aber nichts ist abgedroschen oder ausgelutscht. Sie transportiert es in ein Deutschland in naher Zukunft und es funktioniert ausgezeichnet. Dabei weiß Anne Freytag mit Sprache umzugehen. Ihre Metaphern sind absolut stimmig, nie klischeehaft und absolut auf den Punkt. Jede Szene hat ihre Daseinsberechtigung, es gibt kein zu viel, kein Herumgerede, das macht den Roman zum reinsten Pageturner, den man nicht aus der Hand legen will. Und die ganze Zeit ahnt man: da kommt noch was ganz Großes.
Ein absolut großartiges Buch.