Der Blick durch die Linse

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kinderlesewunder Avatar

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Tom ist ein Fotograf, der nicht viel von seinen Fähigkeiten als Künstler hält. Er sieht sich als durchschnittlich schlechten Auftragsfotograf, durchschnittlich schlechten Ehemann und durchschnittlich schlechten Vater. Auf einer Reise durch das Land, auf die er sich begibt, um seinen kranken Sohn nach Hause zu holen, führt er Zwiegespräche mit sich selbst. Warum sollte sich ein Leser für den Sumpf eines Einzelnen interessieren, wo wir doch alle drin stecken?

David Park hat die Beschreibung über die Abgründe der menschlichen Psyche in einen spannungsgeladen Plot verpackt. So wie Tom, der durch die karge, eingeschneite Landschaft fährt, drängend, rastlos, so habe auch ich das Buch gelesen. Tom hat Angst zuspät zu kommen, zu Luke, zu der Fähre, nach Hause zum Weihnachtsfest. Als ob sein Leben davon abhängt. Bis zum Ende wird die Spannung gehalten. Schafft Tom es, und was ist es, was er überhaupt schaffen muss? Was hat sein Leben in diese gefährliche Schieflage gebracht?

Großartig beschrieben ist Toms Blick auf die Welt. Er nimmt die Welt durch seine Kameralinse wahr. Treffender wäre zu sagen, erst mit dem Blick durch die Linse versteht er seine Welt. Erst durch die Beschreibung der Fotoaufnahmen versteht der Leser Tom.

Das Buch ist für jeden, der Fotografie, Musik und Filme liebt. Es ist für jeden, der erlesend verstehen will, wie jemand an seinem Leben fast zerbricht. Es ist für jeden, der archaische Lesewelten zu schätzen weiß, in denen es um nichts weniger als das Leben selbst geht. Was der Leser in diesem Buch nicht findet sind Antworten für die Handlungen der Personen. Am Ende geht es nicht um das Verstehen sondern um das Überleben. Die Kernbotschaft dieses Buches ist für mich, nicht aufzugeben.

Rezept für ein besonderes Leseerlebnis: Nimm dir ca. drei bis vier Stunden Zeit und lese das Buch in einem Rutsch durch, zumindest beim ersten Durchgang. Das Buch entfaltet dadurch seine intensive Atmosphäre.