Rückbesinnung und Sühne

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In einer kalten und verschneiten Winterlandschaft macht sich Ich-Erzähler und dreifacher Vater Tom mit dem Auto und viel Musik auf den längeren Weg, seinen kranken Sohn in der Studentenwohnung abzuholen und über Weihnachten nachhause in Belfast zu bringen. Poetisch und feinfühlig beobachtet er dabei Menschen, denen er begegnet und die vorbeiziehende Natur – innerlich ist Tom ausgebrannt, gezeichnet durch ein traumatisches Ereignis, das immer wieder aufblitzt. Er fühlt sich als väterlicher und beruflicher Versager, kämpft mit Schuldgefühlen und ringt nach Erlösung. Kluge, treffsichere Gedanken zur Elternschaft treffen bildgewaltig und metaphorisch auf sein fotografisches Gedächtnis – Tom ist Fotograf, zwar nicht so erfolgreich wie erhofft und viel auf Familienfeiern unterwegs, aber seine Erinnerungen behält er in Fotoform im Kopf.

David Parks Roman ist tief empathisch, bewegend und sehr menschlich – ein dunkles Geheimnis hängt wie ein Damoklesschwert über Toms beschwerlichen Reise durch die fremde Schneelandschaft, gräbt sich immer weiter an die Oberfläche durch die Schneeschichten. Seine Gedanken kreisen um vergangene Ereignisse und vor allem um die Familienmitglieder, jeder ist ihm bei der emotionalen Reise nah – dabei taucht immer wieder Daniel auf, der mit dem tragischen Ereignis auf einer Treppe verbunden ist und sein Herz quält. Die Passage, als Tom sich endlich erlaubt, gedanklich an den Ort des Dramas zurückzukehren und seine Trauer zu fühlen, beschreibt Park mitreißend und eindringlich.

Ein mutiges, melancholisches und weises Buch über das schwierige Navigieren durch eine Elternschaft und transgenerale Traumata, die durch ein Schicksalsschlag geprägt sind, aber auch sehr dicht und szenisch komponiert – Toms fragile innere Welt, seine rückbesinnenden Gedanken auf der Reise durch die weiße, unnahbare Schneelandschaft nehmen einen großen Platz ein, verweben sich mit den Fotos der weißen und stillen Außenwelt und der Leser leidet emotional bei der persönlichen Tragödie um Daniel mit, die sich nur langsam, fesselnd und bruchstückhaft entrollt. Toms Nachdenken und Rückblicke auf der einsamen Reise zur inneren Sühne gleichen einer ruhig und stürmisch erzählten Pilgerfahrt – je weiter Tom seine tief vergrabenen Familiengeheimnisse und Gewissensbisse ausgräbt, desto angespannter wird die Atmosphäre.

Ein mitfühlend, schmerzvoll und intensiv beobachteter Trauerprozess, der ins Rollen kommt – so wie das Tauwetter den Schnee schmelzen und unter die Schichten darunter blicken lässt. Sehr bewegend und wunderschön ist außerdem die am Ende genannte Bilderstrecke zur Reise, die zusammen mit der Künstlerin Sonya Whitefield entstanden ist.

„Ob die monochrome Welt, durch die ich fahre, das Nachdenken einfacher oder schwieriger macht, kann ich nicht sagen. (…) Der Schnee verdeckt alles, aber ich weiß nicht, ob ich das Verborgene weiterhin unter Verschluss halten kann, und weil meine innere Kraft oft nicht ausreicht, habe ich Angst, es wie plötzliches einsetzendes Tauwetter zu enthüllen, wenn sie es nicht erwartet und der Zeitpunkt nicht richtig ist.“ S. 75